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Maulbronner Amtsorte an den württembergischen Landtag 1633

Die Gemeinden des Amtes Maulbronn1 beklagen gegenüber dem Großen und Kleinen Ausschuss des württembergischen Landtags die seit Kriegsbeginn erlittenen Kriegsschäden und -kosten durch kaiserliches, schwäbisches und nun schwedisches Militär. Im Einzelnen beziffern sie die größten Schäden bis zu einem im September 1628 dem Kleinen Ausschuss vorgelegten Bericht auf ca. 42.000 Gulden und die anschließend bis 1631 durch die Lothringische Armee erlittenen Schäden auf ca. 48.900 Gulden (in Beilage 1). Es folgt die Aufzählung weiterer kleinerer Posten in Höhe von insgesamt ca. 17.000 Gulden, unter anderem für die nach dem feindlichen Einfall bei Knittlingen2 im Jahr 1632 notwendige ärztliche Versorgung von 22 Männern der zweiten Wahl der Landesmiliz (23 weitere seien gefallen), an Lösegeldern für zwei (von insgesamt 14) dabei nach Philippsburg3 verschleppte Männer sowie an Quartierkosten für Herzog Julius Friedrichs4 Armee nach der Zerstörung Knittlingens. Eine separate Beschwerde der Gemeinde Knittlingen ist als Beilage 2 angefügt. Weiter beklagen die Gemeinden, dass sie wegen Hagel- und Windschäden noch Steuerschulden hätten und zum Wiederaufbau Knittlingens täglich mit Frondiensten belastet seien, für deren Ableistung sie erbitten, auch andere Städte und Ämter hinzuzuziehen. Es wird beklagt, dass beim Pferdehandel mit Untertanen der Markgrafschaft Baden doppelter Zoll (an Baden und Württemberg) bezahlt werden müsste. Ferner wird auf die allgemeine Teuerung hingewiesen sowie der Vorwurf formuliert, dass Einwohner des Amtes Vaihingen5 ihre Güter auf den Markungen Iptingen6 und Roßwag7 nicht versteuern müssten. Neue Bürger, die sich nicht integrierten, zögen wieder weg und ließen ihre Kinder zurück. Letztlich bitten die Gemeinden um Abhilfe (Erlass) aller Kriegslasten und Wiedereinsetzung in ihre uralten Privilegien.

[Maulbronn], Juni 1633 (übergeben 27. Juni/7. Juli)

GRAVAMINA8
Gemeinen Maulbronner
Ambts.
Den 27ten Junii anno etcetera 1633
abgangen.9

GRAVAMINA
Welche die Abgeordtnete von Gemeinen Maulbronner
Ambtz wegen bey bevorstehendem Landttag dem kleinen
und großen Außschutz in Württemberg etcetera übergeben und
neben andern Stätt und Ämbtern umb Abhelffung
oder Linderung derselben instendig und embßig piten sollen.
Waß daß gantze Maulbronner Ambt und deßelben
arme, hochbetrangte Underthanen nunmehr in 14
oder mehr Jaren hero10 mit langwürigen Einquartierungen,
Durchzugen, Einfäll, Blünderungen, Raub, Mordt und
Brandt von dem kayßerlichn, schwäbischem und jezo schwedischem
Kriegsvolckh zue Roß und Fueß für unersäglichen
großen Jammer, Schaden, Schröckhen und Ungemach erlitten
und ußgestanden, daß ist nunmehr so landtkündig
offenbahr und am Tag, daß es ferrnnerer Ußfüehrung
nit bedörffe.
Damit aber der je länger je mehr aufwachßende
und eben unerträgliche Schad gemeiner Landtsversamb-
lung und Ständen um etwas beßer für Augen
gestellt und andere Stätt und Ämbter, die dergleichen
nit außstehen dörffen, zue desto billicherm Einsehen
und mitleidendem Gemueth bewegt werden möchten, so
will die hohe Notturfft11 erfordern, daß deßwegen kurtze
Anregung12 beschehe.
Derjenige große Uncost, was deß Kriegswesens halber den
9ten Septembris anno etcetera 1628 an die Herrn deß kleinen Auß-
schutzes in Württemberg etcetera uf Begehren, ußfuehrlich und mit
allen Umbständen13 berichtet worden, darfür wir biß
dato kein Ergötzligkeit14 empfangen, belaufft sich zuesamen
———————————————— 41.943 [Gulden].
Waß nun von solcher Zeit biß anno etcetera 1631 für ein gleichsamb
unerschwinglicher Kriegs- und anderer Uncost in dißem
Ambt uffgeloffen, daß ist zwar vor dißem, wie gegen-
wertige Beylag sub15 Numero 1 mit sich bringt, ußfüehrlich
berichtet worden, hat unß aber noch niemanden nichtzit
daran gegeben, sondern heißt eben, je mehr wir clagen, je mehr
uns Beschwernußen uf den Halß gelegt werden.
Baldt nach solchem lothringischen Überzug ist in dißem Ambt
nur für ußgeblibene Pferdt item16 Schif und Geschirrs
eingezogen und gleich widerumben denjenigen, so dergleichen
dahinden gelaßen, ußbezahlt worden  — 5.797 [Gulden] 3 [Kreuzer].
So ist auch seithero waß uf daß schwedisch und württembergisch
Kriegsvolckh zue Roß und Fueß an Brodt, Flaisch und
andern Victualien17 sambt abgenomenen Pferdten und
andern Exorbitantien18 eingezogen und gleich wider uß-
bezahlt worden  —————— 4.595 [Gulden].
Item zue Erkauffung Luntten, Pulver und Pley, auch Muster-
ungs- und Ußwahl-Costen eingezogen  — 607 [Gulden] 45 [Kreuzer].
Anlangendt den in Grundt verderbten Fleckhen19 Knittlingen,
haben sie ihre Gravamina selbsten uf daß Papier
gebracht, wie ußer beyligendem Original sub Numero 2
zue sehen.
In solchem feindtlichen Einfall seindt von unserer andern Uß-
wahl20 23 Persohnen gar todt gebliben, 22 (doch alles
ohne die Knittlinger) zuem Theils biß uf den Todt
geschädiget und verwundt worden. Die haben biß zue
ihrer Curirung21 nur an Artzetlohn für Schmertzen,
Eßen, Trünckhen und Versomnus22 nichtzit gerechnet,
gecostet über  —————— 240 [Gulden].
Item es haben Hannß Ulrich Hüllttwein, Inwohner zue
Dürrmentz23, und Wendel Seemann, Inwohner zue
Lomerßheimb24, beedes Maulbronner Ambts, für ihren
Sohn und Tochtermann25, neben noch andern, deren 12 und
darvon 6 im Lauffemer26 Ambt daheimbden, welche
in solcher Niderlag gefänglich nach Udenheimb27 geführt
worden, Rantzion-Geltt28 und andern Uncosten erlegen
müeßen  —————— 334 [Gulden],
so sie mit großem Uncosten ufgetrüben,
welches ihnen sambtlichen billich, von gemeiner Landtschafft
wegen29, widerumben guet gemacht werden solle.
In Betrachtung deßen, daß sie Leib, Ehr, Haab,
Gueth und Blueth zue Defentierung30 deß allge-
meinen lieben Vatterlandts ufzuesetzen willig geweßen.

Waß nun Hertzog Julius Friderich gleich nach solchem
Knittlingischen feindtlichen Einfall mit seiner geführten
Armee inner 6 Tagen, zwar in wenig Fleckhen,
gecostet und verderbet, ist ungevarlich über gegeben
Commiss angeschlagen mehr dan  — 3.000 [Gulden].
Und dan ist in dißem Ambt inner Jahrsfrist hero
mit Einquartierung und Durchzügen schwedischen
Kriegsvolckhs, die zwar sich für Freündt außgeben,
aber sich weit feindtlicher alls die Kayßerische
mit Rantzioniren31, Tribulieren32 und anderer Exorbi-
tantien verhalltten, dem allergeringsten Überschlag
ufgewendet worden über  — 3.000 [Gulden].
Und ist hoch zue klagen, daß mann ab der etcetera Herrschafft-
Cästen nit ein einigen Schöfell33 Fruechten, vihlweniger
den Wein ußer den Kellern mehr zue Commiss hergeben
will, und wann bißhero zue Tefentirung
deß Closters Maulbronn nur 1 oder 2 Compagnia
in daß Closter gelegt worden, haben die arme
Underthonen dißes Ambts gleich Fleisch, Ayer, Schmaltz,
Hüener, Hew und dergleichen hergeben müeßen,
so doch die höchste Unbilligkeit ist, in Summa der Trauff34
würdt eben alzeit nur uf den armen Pawersman35
gerichtet.
Allso daß nit unbillich sich jedermann verwundern solle,
wie doch die Underthonen solches erschwingen und diße
böße betruebte müehseelige Zeit hero umb- und bey-
einander pleiben könden.

GRAVAMINA
Welche die Abgeordnete von Gemeinen Maulbronner
Ambts wegen bey bevorstehendem Landttag dem kleinen
und großen Außschutz in Württemberg übergeben und
neben andern Stätt und Ambtern umb Abhelffung
derselben instehendes Fleiß embßig piten sollen.
Erstlichen ist dißes Ambt mit dem järlich für Hagel
und Windt schuldigen Gülltten36 und Bodenzinßen neben
vorhin vihlfälltigen schwehren Frohndiensten gar hoch und
vihl beschwehret und werden anjezo noch täglich mit
den Herren- und Privatspersohnen-Gebäwen zue Knitt-
lingen mit Frohnen mehr belästiget. Waß die Herren-
gebäw anlangt, will man schon für ein Schuldigkeit er-
zwingen, die arme und vorhin mehr dann zuvil ver-
derbte Pawren gleichsamb über ihr Vermögligkeit treiben
und ihnen oder den Pferdten nit gern etwas über die
Schuldigkeit, weder von alltershero gebräüchig geweßen,
zwar selbiges mit Unwillen geben. Geschicht einem oder
dem andern ein Schad, mueß er sich noch darzue auß-
lachen laßen. Wer allso nit unbillich, daß andere
benachburte Stätt und Ämbter auch hierzuegezogen
und dißes Ambz einmahl umb etwas verschont würde.
So ist auch dißes ein überauß große Beschwehrnus, wan
einer Maulbronnischer ein Pferdt in der Marggrave-
schafft verkaufft oder vertauscht, der Enden ordenlicher-
weiß verzollet, mueß er solches im Landt noch einmahl
und allso doppelt verzollen.
Item vor 10 oder 12 Jahren hat man für ein Gülltt-
ganß37 8, für ein allte Hennen 4, und jung Hüener
2 Kreuzer von den armen Leüthen, so vergleichen nit uf-
zueziehen vermögen, an Gelltt eingezogen. Sobaldt aber
daß Menzwesen ufgestigen,38 hat alles gleich nochmahl
sovil sein müeßen und seithero nitmehr in allten
Standt, wie es billich sein sollte, gebracht werden mögen.
Die von Vayhingen und Nußdorff39 haben fast die beste
Güether uf Roßwager40 und Iptinger Marckhtung;
innen wollen aller Beschwerdten frey sein, geben
weder Schazung noch Wochengelltt, welches dem
General Beuelch sub dato den 29ten Aprilis anno etcetera
1629 gantz und gar zuewider41.
Endtlichen ist der newen Burger halber, mit welchen
die Fleckhen durch Außschreibung fürstlicher Bevelch
und Tecreten42 vihlfällttig beschwehrt werden
wöllen, nochmahlen wie vor allwegen ein gemeine
Clag, wann einer er sey, gleich inn oder ußerhalb
Landts daheimbden, nur fürwendet, er habe sich mit
einer Witib43 oder Burgersdochter verheurath
und wolle sich jederzeiten, warzue man haben wölle,
so tags so nachts willig gebrauchen laßen; item er trawe
sich beßer weder in seinem Heimbwesen zue ernehren,
da er doch nie im Sinn gehabt, solches zue praestieren44
oder weder Heller noch Pfenning im Vermögen, auch
gar nichtzit oder eben wenig von seinem Weib zue
gewartten hat. Seindt auch gemeinlich unrüehige45
Gesellen, die hernocher weder uf Gebott noch Verbott
nichtzit geben, und wann sie mit Kinder n überfallen,
laßen sie selbige den Fleckhen oder Armen-Cästen
zuem Theils sizen und ziehen darvon.
So würdt nun der klein und große Außschutz,
auch alle versamblete Stätt und Ämbter,
ersuecht und gebetten, nach gebührenden Miteln
und Wegen zue trachten und die Sachen in allem
dahin zue tirigieren46, daß nit allein dißen,
sondern auch allen andern dißes Maulbronner
Ambts obligenden Kriegsbeschwernußen noth-
wendig abgeholffen und wir allso samptlichen
bey unsern uhrallten Privilegien und Frey-
heiten mögen manutinirt47 und gehandthabt werden.


1 Stadt Maulbronn PF.

2 Stadt Knittlingen PF.

3 Stadt Philippsburg KA.

4 Württemberg, Julius Friedrich Herzog von, <https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Friedrich_(W%C3%BCrttemberg-Weiltingen)> (30.06.2023).

5 Stadt Vaihingen an der Enz LB.

6 Iptingen, Gde. Wiernsheim PF.

7 Roßwag, Stadt Vaihingen an der Enz LB.

8  „Gravamina“ (Sg.: das Gravamen; lat.) nennt man Beschwerden oder Vorwürfe gegen Kirche und Klerus oder den Lehensherren.

9  Eingangangsvermerk ebenfalls S. 1, li. Unten: Stuttgart, den 1. Julii 1633.

10 Bedeutung: „hero“ = allhier bzw. bisher (wird verwendet als Lokal- und Temporaladverb; hier vermutlich temporal).

11 Bedeutung: „die hohe Notturfft“ = die dringende Notlage/Notwendigkeit.

12 Bedeutung: „kurtze Anregung“ = schnellstmögliche Anweisung.

13 Bedeutung: „mit allen Umbständen“ = auf das Genaueste, bis ins Kleinste.

14 Bedeutung: „Ergötzligkeit“ = Entschädigung, Erstattung, Trost.

15 Lat. = unter.

16  Lat. = ebenfalls, ebenso.

17 Bedeutung: „Victualien“ = Nahrungsmittel, Lebensmittel.

18 Bedeutung „Exorbitantien“ = enorme Aufwendungen/Belastungen.

19 Bedeutung: „den in Grundt verderbten Fleckhen“ = die völlig zerstörte bzw. die bis auf die Grundmauern niedergebrannte Ortschaft.

20 Bedeutung: „Ußwahl“ = Landesauswahl, Landmiliz.

21 Bedeutung: „Curirung“ = Genesung, Wiederherstellung.

22 Bedeutung: „Versomnus“ = Dienstausfall.

23  Dürrmenz, Stadt Mühlacker PF.

24  Lomersheim, Stadt Mühlacker PF.

25 Bedeutung: „Tochtermann“ = Schwiegersohn.

26  Stadt Lauffen am Neckar HN.

27  Udenheim (heute Stadt Philippsburg KA).

28 Die Ranzion = Lösegeld zum Loskauf aus Kriegsgefangenschaft.

29 Bedeutung: „von gemeiner Landtschafft wegen“ = aufgrund ihrer Ortszugehörigkeit, der gemeinsamen Ansässigkeit wegen.

30 Bedeutung: „Defentierung/Tefentirung“ = Verteidigung.

31 Bedeutung: „Rantzioniren“ = Erpressung von Lösegeldern.

32 Bedeutung: „Tribulieren“ = Drangsalieren, Schikanieren.

33 Bedeutung: „Schöfell“ = Scheffel; altes Hohl- bzw. Raummaß zur Messung von Schüttgütern.

34 Bedeutung: „der Trauff“ = die Belastung.

35 Bedeutung: „Pawersman“ = Bauersmann.

36 Bedeutung: „Gülltten“ = Zahlungen, Abgaben, Schulden.

37 Bedeutung: „Güllttgans“ = Gans, die zur Bezahlung einer Geldschuld hergegeben wird.

38 Bedeutung: „Sobaldt aber daß Menzwesen ufgestigen, […]“ = Sobald aber die Teuerung/Inflation einsetzte, […].

39  Nussdorf, Gde. Eberdingen LB.

40  Roßwag, Stadt Vaihingen an der Enz LB.

41 Bedeutung: „welches dem General Beuelch sub dato den 29ten Aprilis anno etcetera1629 gantz und gar zuewider“ = welches dem Generalbefehl vom 29. April 1629 völlig widerspricht.

42 Bedeutung: „Tecreten“ = Beschlüssen, Verordnungen.

43 Bedeutung: „Witib“ = Witwe.

44 Bedeutung: „praestieren“ = leisten, zustande bringen; den Verpflichtungen nachkommen.

45 Bedeutung: „unrüehige“ = unruhige, rastlose, unzuverlässige.

46 Bedeutung: „tirigieren“ = lenken.

47 Bedeutung: „manutinirt“ = erhalten, bewahrt.

Quelle Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 502 Bü 373
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu.