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Rentamtsprotokoll für die Stadt Eppingen 1630

Der kurpfälzische Rentmeister1 zu Heidelberg2 Hans Sigmund Puecher3 berichtet nach seinem Umritt4 in den vier unterpfälzischen5 Ämtern Boxberg6, Bretten7, Heidelberg und Mosbach8 unter genauer Auflistung der Einnahmen und Ausgaben sowie der noch ausstehenden Zinsen über das Gerichts-, Kirchen-, Schul- und Finanzwesen der im Amt Bretten („Bret(t)heim“) gelegenen Stadt Eppingen9. Im Einzelnen wird vermerkt, dass das Verhalten des Eppinger Schultheißen zwar untadelig sei, dieser aber durchaus in der Lage sei, mehr zu leisten. Im Falle eines Wirts, der zugleich als Metzger tätig war, wird darauf hingewiesen, dass solche Doppelbeschäftigungen zu verbieten seien, da dies zu „allerlei Ungelegenheiten“ führe. Mit Blick auf das öffentliche Leben gebe vor allem das Verhalten des Stadtrats und der Bürgerschaft Anlass zur Beschwerde, da diese die Kirche an Sonn- und Feiertagen „sehr nachlässig und unfleißig“ besuchen würden, was in gleichem Maße auch für die Kinder in Bezug auf den Besuch von Schule bzw. Religionsunterricht gelte, wobei es sämtlichen Betroffenen ziemlich egal sei, ob dieses Verhalten auffalle. Von historischem Interesse ist das vorliegende Dokument vor allem im Hinblick auf die Vorbehalte und Ausgrenzungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung, die man pauschal der Wucherei bezichtigt und per Dekret „in der Pfalz nit mehr leiden oder gedulten“ wolle.

Ohne Ort, 1630

Statt Eppingen, im
Ambt Brettheim gelegen.

Heinrich Eily,10 Schuldtheiß und Collector11
der Orths, ist nunmehr im annderm Jahr daselbsten.

Waß Vitzdomb-12 unnd Ehepruchstraffen wie auch
Fiscalia13 belanngent, weiln solche Verbrechen, da
sich etwas begibt, bey dem Oberambt Bretheim
abgestrafft unnd daselbst verrechnet werden,
khann diß Orths an dergleichen nichts gesezt werden.

Der Schultheisen Verhalten unnd Verrichtungen, so er
in 1½ Jahrn hero erzaigt, ist seiner Persohn
halb nit zu corrigiren, wie er dann zu einem
besserm wohl gewaxen wehre14.

Sonnsten ist alda vorkhommen, das in der Vorstatt
ein Wierth, der zugleich ein Mezger ist unnd das
Fleisch außwigt unnd verkhaufft. Weiln aber
vor disem dise bede Hanndtirungen15 beieinander nit ge-
dultet werden wellen, wie dann allerhandt Un-
gelegenheit dabei vorfölt16, auch noch mehr zu besorgen
ist17, alß ist bevolchen18 worden, disem und andern
dergleichen beieinander nit mehr zu gestatten.

Wider den Stattrath unnd Burgerschafft ist abermahle,
wie ferntigs Jahrs auch beschechen19, firkhommen20,
das sie die Khirchen an Sonn- unnd Feyrtegen,
sonnderlichen auch die Khinder die Schuel und Khindlehr21,
sehr nachlessig unnd unfleissig besuechen unnd umb
Gewahrungen22 wenig geben. Alß ist dem Schultheisen
bevolchen worden, auf die Halßstärigen unnd
Ungehorsamben fleissige Obacht zu haben,23 dieselben,
wie offts ohne erhebliche Ursachen unnd ohne Erlaub-
nuß außbleiben, aufzeschreiben unnd mit Straffen
anzesehen24, massen dann auch dem Stattrhat unnd
gemainen Burgern deßhalben ein ernstlicher Verweiß
beschechen,25 die sich hinfiro besser ze halten unnd
einzestellen26 erbotten haben.

Sonnderlichen aber ist wider den speyrischen
Schafner27, so gleichwoln derzeit Burgermaister
ist, vorkhommen28, ob sollte er gleichsamb die
Burgerschafft von der Khirchen mit Worthen abhalten
unnd bewegen,29 auch zwischen den Geistlichen aller-
handt Unainigkheiten anstellen, unnd obwoln er
sich dariber endtschuldiget, das ime zum Theil Unrecht
gescheche, ists ime dannoch mit Betroung Straff30
ernstlichen unndersagt unnd verwisen worden.

Die Mihlbeschauen hat diß Orths der Stattrhat ohne
Beisein eines Schultheisen fürgenommen unnd Straffen
gesezt. Ist aber bevolchen worden, das ermelter31
Schultheiß hinfiro auch darbei sein unnd von g[näd]i[g]ster[?]
Herrschafft wegen die Notturfft32 in Acht nemmen solle.

Die Vormundtschafftsrechnungen sein diß Orths
nit all verförttiget worden, wie Schuldtheiß
berichtet. Solle die Saumbsahl33 zum Thail bey dem
Ambtschreiber zu Bretheim ligen. Dariber ist dahin
Bevelch erganngen, das solche unverlangt expedirt34
unnd niemants beschwerdt oder zu Nachteil aufge-
halten werde.

Sonnsten unnd weiln bei dißem Puncten vorkommen,
das etliche auß dem Rhat unnd der Burgerschafft
der Waisenkhinder ligende Gieter etwas aigen-
nitzige unnd fortailhafftig, indeme sie die Wisen
umbsonnsten zur Eingab35 haben wollen, gebrauchen,
ist bevolchen worden, solches unverlenngt36 abzustellen
unnd die Pupillengieter37 aufs Hechst alß man khan
hinzuleihen unnd dergleichen unbilliche Vörtl38 durch-
auß nit mehr zu gestatten.

Vor disem ist gleichwoln bevolchen worden, das
man die Juden in der Pfalz nit mehr leiden oder
gedulten39, vilweniger das Commercirn40 und den
wuecherischen Judenspieß41 gestaten solle. So hat
doch der Judt42 von Riechen43, dem Herrn von Meter-
nich44 zuegehörig, sich in negst verschinen45 Herbst
sambt den Seinigen fast teglichen im Stättl auf-
gehalten. Auch alda doch von anndern Herrschafften
in die 15 Fueder46 Weins in die Statt gelegt, aber
khain Zohl47 ausgerichtet worden, wie es dann auch
der Metternische Kheller zu Streichenberg48 nit zue-
lassen wöllen. Alß ist dem Schultheisen bevolchen
worden, denselbigen Wein so lanng in Arresst zu behalten,
biß sich der Judt des Zohls unnd der verwirckhten
Confiscation halber49 zu Heidlberg abfindig unnd ledig50
gemacht hat.

Geistliche betreffendt

Wider die geistliche Persohnen, dessen der Pfarrer
ein Religios51 unnd der Gesell ain Lay-Priester52, ist
khain Clag, weiln beede erst vor weniger Zeit der
Orth angestanndten firkhommen53.

Sonnsten ist gleichwoln vor einem Jahr auch bevolchen
gewest, das die von der Statt die Allmusen-
rechnung verförttigen sollen. Dieweiln aber
solches nit beschechen, massen ihnen dariber grosser
Verweiß gethon unnd dem Schultheisen bevolchen
worden ist, daz, wann dieselbe in Khirze nit sollen
verferttiget werden, er diejhenige, so daran hinder-
lich, in Arrest nemmen solte.

Weiln aufm Lanckhauß der Khirchen54 bei Pfalz oder
Calvini Zeit55 Traidtspeicher56 gerichtet unnd deßhalben
im Tach etliche Fennster aufgebrochen worden, die
jezten der Khürchen zu ungewiterlicher57 Zeit Schaden
causirens58, alß ist dem Schultheisen alß Collectori
bevolchen worden, solche Fennster, weil es mit ringen
Cossten59 beschechen khann, wider abheben unnd zuemachen
ze lassen.

Extract60
der Statt Eppingen Rechnung
de anno 1629.

Einnamb 1.377 [Gulden] 37 [Kreuzer] 6 [Heller]
Ausgab 1.126 [Gulden] 15 [Kreuzer] 2 [Heller]
Resst 251 [Gulden] 22 [Kreuzer] 4 [Heller]

 

Diser Resst stehet aller unndter den Burgern, massen
dann derselbe ordenlich liquidirt61, die Schuldner
auch darzue erfordert worden, welche sich darzue
fir richtig erkhennt62 haben. Derohalben
hat man bevolchen, solchen einzebringen unnd
zu der Statt Nuzen63 anzewennden.

Bey dem Commissariat zu Amberg64 stehen 30 [Gulden]
Zinß von anno 1622 auß. Haben umb Verhelfung65
gebeten. Wariber sie solches bei der churfürstlichen
Regierung zu Amberg ze suechen verwisen66 worden
seind.


1  Rentamt ist seit dem Spätmittelalter die Bezeichnung für die Behörde der landesherrlichen oder kirchlichen Finanzverwaltung unter der Leitung eines Rentmeisters oder Rentamtmanns.

2 Stadt Heidelberg HD.

3 Puecher, Hans Sigmund, 1628–1632 Rentmeister der von Bayern besetzten unteren Pfalz in Heidelberg (Maier, Franz: Die bayerische Unterpfalz im Dreißigjährigen Krieg. Besetzung, Verwaltung und Rekatholisierung der rechtsrheinischen Pfalz durch Bayern 1621 bis 1649, Frankfurt/M. u.a. 1990, S. 586).

4  „Umritt“ bezeichnet ursprünglich die Inbesitznahme eines Gebietes durch Umreitung, womit die Reise eines neuen Herrschaftsinhabers durch alle oder zumindest die meisten Reichsteile gemeint ist (zwecks Huldigung des Landesfürsten).

5  Die Unterpfalz, im 17. Jahrhundert Bezeichnung für die rheinischen Gebiete des damaligen Kurfürstentums Pfalz (Kurpfalz), als Unterscheidung zur Oberpfalz in Bayern. Die damalige Unterpfalz umfasste etwa die geografische Pfalz, Rheinhessen und Nordbaden, mit den Residenzen in Heidelberg, Mannheim und Schwetzingen. Im Dreißigjährigen Krieg stand der rechtsrheinische Teil der Unterpfalz unter bayerischer, der linksrheinische Teil unter spanischer Besatzung und Verwaltung.

6 Stadt Boxberg TBB.

7 Stadt Bretten KA.

8 Stadt Mosbach MOS.

9 Stadt Eppingen HN.

10 Eily, Heinrich, Schultheiß in Eppingen.

11 Lat. = Geldverwalter, Leiter der Rechnungsstelle einer Behörde.

12 „Viztum“ oder „Vizedom“ war die Amtsbezeichnung eines Stellvertreters oder Statthalters des Souveräns (Landesherrn) in geistlichen und weltlichen Fürstentümern. In Bayern wurden 1507 die Viztumsämter in Rentämter umgewandelt. Bedeutung: „Vitzdomb- unnd Ehepruchstraffen“ = Rentmeister- und Ehebruchsstrafen.

13 Lat. = steuerliche Belange, dem Fiskus obliegende Angelegenheiten.

14 Bedeutung: „wie er dann zu einem besserm wohl gewaxen wehre“ = obwohl er zu besseren Leistungen durchaus imstande wäre.

15 Bedeutung: „Hanndtirungen“ = Beschäftigungen.

16 Bedeutung: „wie dann allerhandt Ungelegenheit dabei vorfölt“ = denn das führt zu allerlei Komplikationen.

17 Bedeutung: „auch noch mehr zu besorgen ist“ = wobei noch mehr zu befürchten ist.

18 Bedeutung: „bevolchen“ = befohlen, verordnet.

19 Bedeutung: „wie ferntigs Jahrs auch beschechen“ = wie bereits im vergangenen Jahr geschehen.

20 Bedeutung: „ist […] firkhommen“ = hat sich ereignet.

21 Bedeutung: „Khindlehr“ = Unterricht, in diesem Fall sehr wahrscheinlich: Religionsunterricht.

22 Bedeutung: „Gewahrungen“ = Wahrnehmungen. Übersetzung: „umb Gewahrungen wenig geben“ = sich nicht darum scheren, ob das auffällt.

23 Bedeutung: „auf die Halßstärigen unnd Ungehorsamben fleissige Obacht zu haben“ = die Halsstarrigen (Unbelehrbaren) und Ungehorsamen (bzw.: sich ordnungswidrig Verhaltenden) genau im Auge zu behalten.

24 Bedeutung: „mit Straffen anzesehen“ = Strafen zu verhängen, Strafmaßnahmen in die Wege zu leiten.

25 Übersetzung: „massen dann auch dem Stattrhat unnd gemainen Burgern deßhalben ein ernstlicher Verweiß beschechen“ = gleichermaßen wurde auch dem Stadtrat und den einfachen Bürgern ein ernster Verweis erteilt.

26 Bedeutung: „einzestellen“ = anzustellen, betragen.

27 Bedeutung: „Schafner“ = vom Bistum Speyer bestellter Verwalter, Aufseher.

28 Bedeutung: „ist […] vorkhommen“ = wurde […] zur Last gelegt.

29 Übersetzung: „ob sollte er gleichsamb die Burgerschafft von der Khirchen mit Worthen abhalten unnd bewegen […]“ = er solle die Bürger mit [aufrührerischen] Reden vom Kirchgang ab- und zurückgehalten und ferner [auch unter den Geistlichen Unfrieden gestiftet haben].

30 Bedeutung: „mit Betroung Straff“ = unter Strafandrohung.

31 Bedeutung: „ermelter“ = erwähnter.

32 Bedeutung. „Notturft“ = Notwendigkeit, Erfordernisse.

33 Bedeutung: „die Saumbsahl“ = das, was noch fehlt (das Saumselige).

34 Bedeutung: „expediren“ = ausfertigen, abfertigen, versenden.

35 Bedeutung: „zur Eingab“; abgeleitet von „eingeben“ = jm. etw. überlassen; überwiegend speziell: etw. (z. B. eine Stadt, ein Territorium, eine Burg) in js. Besitz, Herrschaftsbereich übergeben, ausliefern; auch: jm. etw. (z. B. Wohnrecht, geerbtes oder mit einem Amt verbundenes Gut) rechtmäßig einräumen, anweisen; jm. etw. als Pfand überlassen.

36 Bedeutung. „unverlenngt“ = unverzüglich.

37 Bedeutung: „Pupillengieter“ = Güter/Besitztümer von Waisen und sonstigen unter Vormundschaft stehenden Personen.

38 Bedeutung: „unbilliche Vörtl“ = unrechtmäßige Vorteile.

39 Bedeutung: „gedulten“ = dulden.

40 Bedeutung: „Commercirn“ = Handel treiben, Geschäfte machen.

41 Bedeutung: „Judenspieß“ = (jüdischer) Wucher und Preistreiberei.

42 Bedeutung: „der Judt“ = der Jude (gemeint ist wohl eine bestimmte Person jüdischen Glaubens im Dienste des Herrn von Metternich).

43 Richen, Stadt Eppingen HN.

44 Metternich, Heinrich von, verst. 1654, Generalmajor und 1622–1639 Statthalter der von Bayern besetzten unteren Pfalz in Heidelberg (Maier, Franz: Die bayerische Unterpfalz im Dreißigjährigen Krieg. Besetzung, Verwaltung und Rekatholisierung der rechtsrheinischen Pfalz durch Bayern 1621 bis 1649, Frankfurt/M. u.a. 1990, S. 585).

45 Bedeutung: „in negst verschinen“ = im jüngst vergangenem [Herbst].

46 Bedeutung: „Fueder“ = Fuder. Das Fuder, auch mit „Fuhre“ bezeichnet, war ein Volumenmaß für Flüssigkeiten und feste Stoffe. Abgeleitet ist das Fuder von jener Fuhre, die ein zweispänniger Wagen damals laden konnte.

47 Bedeutung: „Zohl“ = Zoll.

48 Burg Streichenberg bei Stebbach, Gde. Gemmingen HN.

49 Bedeutung: „des Zohls unnd der verwirckhten Confiscation halber“ = aufgrund des Zolls und der illegalen/unrechtmäßigen Wegnahme/Inbesitznahme.

50 Bedeutung: „abfindig und ledig [machen]“ = abbüßend/abgeltend und schuldenfrei [machen].

51 Bedeutung: „Religios“ = Geweihter.

52 Bedeutung: „Lay-Priester“ = Laienprediger.

53 Bedeutung. „erst vor weniger Zeit der Orth angestanndten firkhommen“ = erst vor kurzem am Ort eingestellt worden sind.

54 Bedeutung: „Lanckhauß“ = Kirchenschiff, Mittel-, Längsschiff einer Kirche.

55 Bedeutung: Calvini Zeit = zu Zeiten [des Reformators] Calvins (Johannes Calvin, 1509−1564).

56 Bedeutung: „Traidtspeicher“ = Getreidespeicher.

57 Bedeutung: „ungewitericher“ = unwirtlich.

58 Bedeutung: „Schaden causirens“ = Schäden verursachen.

59 Bedeutung: „mit ringen Costen [beschechen khann]“ = mit geringfügigem Kostenaufwand [umgesetzt werden kann].

60 Bedeutung: „Extract“ = Zusammenfassung der wesentlichen Punkte.

61 Bedeutung: „liquidiren“ = klar machen, eine Forderung dartun, berichtigen, auflösen.

62 Bedeutung: „darzue fir richtig erkhennt“ = damit einverstanden erklärt, es für rechtsverbindlich anerkannt [haben].

63 Bedeutung: „zu der Statt Nuzen“ = zum Nutzen der Stadt.

64 Stadt Amberg AM.

65 Bedeutung: „Verhelfung“ = Auslösung, Abhilfe (im Sinne von: finanziell ausgleichen).

66 Bedeutung: „ze suechen verwisen“ = nachzusuchen, zu beantragen angewiesen [worden sind].

Quelle Generallandesarchiv Karlsruhe 61/6166, fol. 138–142
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu.