Herrenalber Pflegamt Derdingen an Herzog von Württemberg 1632
Der Derdinger1 Pflegamtsverweser, Ulrich Springer2, berichtet dem Herzog-Administrator Julius Friedrich von Württemberg3 über das militärische Geschehen in der Region, darunter über die Angriffe auf Speyer4 sowie über die Einnahme von Bretten5 durch kaiserliche Truppen. Er schreibt über die in der Bevölkerung verbreitete Angst vor Plünderungen durch Bauern aus Bruchsal6 und dem Bruhrain7 und berichtet von Übergriffen im Dorf Gölshausen8.
[Derdingen], 23. April/3. Mai 1632 (Ausfertigung)
Durchleüchtiger hochgebornner etcetera
gnädiger Fürst und Herr. Waß wegen Attacquirung9
der Statt Speyr für underschidliche Schreiben ergangen,
darvon haben Euer fürstliche Gnaden beyligende Abschrifften sub
Numero10 1 und 2 gnädig zu empfahen. Bretheim betref-
fent, ist selbiges alberait, wie für gewiß schon
zu underschidlichen Mahlen referirt11 worden, mit
1000 und hierunder mehr nicht alß ein Compagni
zu Pferdt, daß Übrig zu Fuoß, underm Commando
deß Statthalters zu Haidelberg Brudern12, wider ein-
genommen. So diß Tags darinnen noch inn Besazung,
hat gestrigs und heütigs Tags in Derdingen
ein grossen Schreckhen bei meniglich causirt13, be-
sonders weil gemein Sag nach etlich Hundert
mitgeloffne brureinische und bruoselmische Bauren14
mit Weib und Kindern, die von Gölzhaußen,
zwischen Maulbronn und Derdingen thailbar,
ganz außgeblendert, alles, waß sie noch ge-
habt, mitgenommen, daß Übrig von Fenstern,
Öfen, Schreinwerckh und Kuchingschürr gannz
zerschlagen, verhörgt und verderbt. Dem Schult-
haissen sein newlichst erbawte Herrberg ab-
brennen und den Würth, so sich neben Ver-
lust seines ganzen Haußraths mit 18 [Gulden] ge-
lößt und am Strickh gefüert worden, uff-
henckhen wöllen. In Summa alles erbärmlich
zuganngen. Gestalt dann usser Derdingen und
Knittlingen15 Tag und Nacht ein solch Flehnen16, Uß-
füehren und Tragen, daß wegen ermanglender
Hilff und Zusprechens bald jedermann ver-
zagen will. Inmassen verschine Nacht über
vil Weiber mit iren Kindern und außgewüch-
nen17 Sachen sich bei grossem Regenwetter im
Wald ufgehalten und also erst heüt gegen Tag
gannz naß wider nacher Hauß begeben haben.
Und will verlauten, alß ob uff morgen deren
March uf Frödenthal18 zugehn solte. Diejenige
Sachen, so Obristen-Leüttennandt Schafelizki19
von Brettheim vor disem hinwegg gefüehrt,
wider abzuholen, dannenhero wegen befahrenden
Durchzugs und ermanglenden Widerstands
beede Fleckhen Knittlingen und Derdingen
in grossem Schreckhen. Ist Obrist-Leüttenant
Helmstettern20 hierunder schon zum dritten Mahl
zugeschriben21, aber nie nichz – weder umb wenig
oder vil, guts oder böß – beantwurt worden, also
der gemeine Mann, so steetigs mit Versomung
seiner Veldtgeschäfften22 und gewarttender
Gefahr in der Gwöhr23 überauß schwierig. Wenn
der Zug diß Volckhs halber uff Derdingen zu-
gehn solte, ist zu besorgen, der mehrertheils
mit Weib und Kindern usser dem Fleckhen
weichen möchte, wenden vor, daß sie nunmehr in
die 1,5 jarlanng ganz hilffloß gelassen und
bey so schweren und harten, vilfältigen, starckhen
und langwirigen Einquartierungen ihnen inander
kein Commiss24, wie inmittelst anderer Ortten
geschehen, geraicht worden. Lassen derowegen
underthönig und ufs Höchste bieten25, Euer fürstliche Gnaden
wöllen sich irer in Gnaden erbarmen und inen
mit Ertheilung usstendig mehrfältig under-
thönig berichter Commiss und nottwendiger Ret-
ung gnädig begegnen. Solte Euer fürstliche Gnaden ich in Under-
thonigkeit zu berichten nit underlassen. Datum
den 23. Apprillis 1632
Euer fürstliche Gnaden
underthöniger
verpflichter
Amptzverweeser dero Pfleg-
amptz Derdtingen
1 Oberderdingen KA.
2 Springer, Ulrich, 1632 Pflegamtsverweser zu Derdingen KA (nicht zuzuordnen in Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Stuttgart 1957–1993). Er füllte zumindest teilweise die Vakanz zwischen Aristoteles Heller (1627–1629) und Christoph Andler, der ab Martini 1632 amtierte (Pfeilsticker, Dienerbuch, Band 2, Stuttgart 1963, § 3379).
3 Württemberg, Julius Friedrich Herzog von <https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Friedrich_(W%C3%BCrttemberg-Weiltingen)> (11.01.2023).
4 Stadt Speyer SP.
5 Stadt Bretten KA.
6 Stadt Bruchsal KA.
7 Der Bruhrain (Bruchrain) ist eine Hügellandschaft zwischen Bruchsal und Wiesloch im nordwestlichen Teil des Kraichgaus.
8 Gölshausen, Stadt Bretten KA.
9 Bedeutung: „wegen Attacquirung“ = infolge des Angriffs (der Attacke auf die Stadt Speyer SP).
10 Lat. = unter den Nummern …
11 Bedeutung: „refirirt“ = berichtet.
12 Bruder des Metternich, Heinrich von, verst. 1654, Generalmajor und 1622–1639 Statthalter der von Bayern besetzten unteren Pfalz in Heidelberg (Maier, Franz: Die bayerische Unterpfalz im Dreißigjährigen Krieg. Besetzung, Verwaltung und Rekatholisierung der rechtsrheinischen Pfalz durch Bayern 1621 bis 1649, Frankfurt/M. u.a. 1990, S. 585).
13 Bedeutung: „causiert“ = vorgeherrscht.
14 Bauern aus dem Bruhrain und aus der Stadt Bruchsal KA („Bruosel“).
15 Stadt Knittlingen PF.
16 Bedeutung: „Flehnen“ = Flüchten.
17 Bedeutung: „außgewüchnen“ = hier: mitgeführten.
18 Freudental LB.
19 Evtl: Schaffalitzky von Muckadell, Burian, württembergischer Rittmeister 1627, Oberstleutnant 1627/28 (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 1, Stuttgart 1957, § 47, 1607).
20 Helmstatt, Peter von, 1624–1626 Major, 1626–1633/34 Oberstleutnant und 1628–1634 Obervogt zu Lauffen HN (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 1, Stuttgart 1957, § 1608, 1626; Band 2, Stuttgart 1963, § 2519).
21 Bedeutung: „ist … zugeschrieben“ = wurde … schriftlich mitgeteilt.
22 Bedeutung: „Versomung seiner Veldtgeschäfften“ = Verrichtung seiner Arbeit auf den Feldern.
23 Gewähr (Garantie).
24 Bedeutung: „Commiss“ = von einer befugten Person oder Instanz erteilter Auftrag, Anweisung, Genehmigung, Vollmacht.
25 Bedeutung: „bieten“ = bitten, ersuchen.
Quelle | HStA Stuttgart A 90 B Bü 20, Nr. 56 |
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu. |