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Gemeinde Bahnbrücken an Amt Derdingen 1622

Die Vertreter der Gemeinde Bahnbrücken1 berichten im Namen des Dorfgerichts und der Einwohner dem verbündeten militärischen Befehlshaber Junker Johann Georg von Schleissant2 sowie dem Amtmann des Herrenalber3 Stabsamtes Derdingen4, Hans Georg Beyhel5, vom Überfall berittener bayerischer Soldaten auf ihr Dorf mit Plünderung, Verwüstung und schweren Übergriffen auf die Bewohner, die man nicht nur unverschuldet und unter Missachtung einer solches Verhalten ausschließenden Absprache unter den Kriegsparteien drangsaliert und misshandelt, sondern regelrecht an den Bettelstab gebracht hätte. Dieses Schreiben fügte das Amt Derdingen im Jahre 1624 seinem Bericht an das Kloster Herrenalb abschriftlich als „Beilage D“ bei.

Bahnbrücken, im Jahr 1622 (Abschrift)

D.
Woledler gestrenger ehrnvester vorgeachter, in-
sonders günstiger Junckher und gebüet-
tender Herr Ambtmann. Denselben kön-
nen wir arme, nothgetrangte Under-
thonen und Amptzangehörige mit be-
kümertem Gemüeth clagend nit ver-
halten, waß gestalten6 verschinen7 Montag
zu Mittagzeit umb 12 Uhren zu uns al-
hero als an einem Grenzort Botschaften
kommen, wie das uf ungefähr 40 oder 50
bayerische Reütter oberthalb unsers
Fleckhens, noch uf Menzinger8 Marckhung,
sich sehen lassen. Ob wir nun gleichwoln
irethalben uns am wenigsten ainichen Über-
fals besorgt, jedoch als ich, der Schultheüs,
daheimbden in meinem Haus so unge-
vahr mitten im Fleckhen noch gewesen,
seyen anfangs solcher Reütter, ungevar
uf 6 oder 8, für solche mein Behaußung
geritten, ungestim9 nach mir gefragt.
Und alß sie meiner ansichtig worden,
an mich begehrt10, strackhs mit ihnen
hinaus fürs Dorf zu irem Capitain,
alß der sambt der yberigen Ritter-
schafft mit den Pferdten draußen noch
halten thue, zu gehen und ihnen samtlichen11
Quartier zu verschaffen, darauf ich gleich
mitgangen vermaint, weil alle würt-
tembergische Underthonen in dem jüngst
zwischen Württemberg und Bayern getrof-
nen Accord12 begriffen und eingeschlossen,
ein solches mit guten Worten widerumb
abzulainen. Ehe und dann ich aber gar
zu ihnen komen, seyen die yberigen Reüt-
ter, so vorhin noch draußen gehalten,
schon gegen mir herein ins Dorf ge-
ritten, die Gassen strackhs eingenom-
men. Erstlichs die alhero gelegte 9
würtembergischen Soldaten sambt denn
Gefreyten mit vilem Schreyen, Toben
und Wüethen ganz wehrloß gemacht13.
Mich, den Schultheüßen, aber (alß ich zu
irem vorgegebnen Obristen, so im
Hauffen zuhinderst gehalten eine
hohe grüene ufgestibte Hauben14 ufge-
tragen, der vermainte Cornet15
aber anstat eines Fähnlins mehr
nicht als ein schlechten Wullin, gefarb-
ten Kindts galter, allein an einer
schlechten ohngehobelten Stangen,16 wie
selbige ußer einem Holzhaufen her-
ausgenommen sein möchte, ange-
bunden bei sich gefüehrt kommen)
gleich gefangen genommen, zuerst
Quartier, und alß ich mit Erzehlung
des Fleckhen eüssersten Armuoth17 dar-
für gebetten, hiefür 100 Reichsthaler
zu erlegen an mich begehrt, also ungefähr uf die
2 Stundt an einem am Arm angelegten
Strickh mich so lang und vil im Band gefan-
gen ufgehalten, bis ich ihnen uf die 3
Malter18 Habern19 zu geben bewilligt, die
ich auch alsbald schwerlich bekommen,
ihnen auf die Roß hinaufheben mües-
sen. Inmitlest haben die eingefallne
Reütter uns arme Bauren mit Straichen
und Zuschlagen gezwungen, das wir
selbsten unsere Ställ öfnen und mit
allem, das zu uns geflehnete20, son-
dern zumahl auch all unser selbs aigen
Rindervich von Küeh und Kälbern, so an
der Anzahl uf die 43 Stuckh und yber
die 20 Pferdt gewesen, inen ablösen21
und zusamen heraus uf die Gassen
treiben müessen, die dann vol-
gendts selbszehend solch Roß undt
Rindervich mit sich hinweg zum Fleckhen
hinausgefüehrt; den Gefreyten mit-
genommen und, wie er zu seiner Wider-
kunfft selbsten erzehlt, draußen im
freyen Feld ganz ußgezogen, gestallt
er dann mehr nit alß noch ein weiß
Par Schlaafhosen angehabt. Die yberige
Reüter aber seyen hernach allerortten
erst in die Häußer gefallen,
allervorderst uns arme Bauren zuem
Fleckhen hinaus verjagt,
etliche under uns gar ybel verwundt,
besonders einen gar ufgehenckht, doch
entlich wider herabgelassen, das er
bloß mit den Leben wider darvon-
kommen, den sie doch letstlich auf gar
ybel gehawen. Volgendts sie alle Truchen22
und Gemach mit Gewalt eröfnet, uf-
geschlagen, zertretten, verhawen
und sovil sie gekent, schandlich verhergt23,
verwüest und verderbt, alles durch-
suocht. Und was sie ann Gelt und besstem
Leinwath24 gefunden, auch ihnen son-
sten gefallen, zusamengerafft undt
mit hinweggenommen. Uf den Abendt
seyen entweder sie oder ein andere
Burst25, so wir, weil niemand im
Fleckhen mehr wohnen und sich ufhalten
dörfen, weiters zu beschreiben nit wis-
sen, wider in Fleckhen eingefallen,
angefangen zu zehren, zu sauffen undt
zu brassen und was noch für sie zu-
gegen gewesen und ihnen gefallen,
vollendts mitgenommen. An welchem
zwar noch nit gnug gewesen, son-
der als gesterigs Tags die ganze
bayerische Armada iren völligen
Durchzug, gleichsam ein wenig ob der
Strassen, durch diß unser Fleckhlin
gesuocht, haben sie nit allein allen bey
uns noch zugegen gelegnen Wein in
Kübeln und andern Geschürren außer
den Kellern in die Gassen und weit
hinaus ins freye Veldt getragen;
in Massen das Geschürr, so erst heüt
uf der Legerstatt noch gefunden wor-
den, bezeügt26 und mit sich bracht, sonder
sie haben auch in Kellern die Schlauch-
zapfen auß den Vassen27 geschlagen und
allen yberigen Wein, so sie nit auß-
trünckhen mögen, ja allein mir,
dem Schultheüßen, selbsten uf ein Fuo-
der uf den Boden lassen lauffen. Also
mit Blindern, Stehlen, Rauben undt
Austragen solchen erbärmlichen
Muotwillen geybt und getriben,
das wir in allem, sovil unnser Ge-
sündtlin28 (so bißhero im Fleckhen
gebliben) Bericht gethan, mehr nit
als jeder heütigs Tags noch ein
Betlin29 oder zwey gehabt. Ist aber noch
kein Ufhörens, dann sich die ver-
gangene Naht und disen
ganzen Tag yber noch imerdar Sol-
daten in disem unserm Fleckhlin
ufhalten. Da Gott wais, was uns zur-
letst noch verbleiben möchte, auch wann
und wie bald wir mit unsern Weibern
und kleinen Kindern im Fleckhen in un-
sere arme Hüttlen wider sicher ein-
ziehen dörffen.
Ob nun gleichwol dieser laidige Zustandt
und grimmige Einfall vil ärger
und böser als immer zu erzehlen,
und wir mehrerthails in Bettelstab
schon alberait gericht seyen30, gestalt
wir, so lang diß Geströssel31 noch möchte
wehren32, uns nit mehr sicher im
Fleckhen ohne eüsserste Leibes- undt
Lebensgefahr lassen und begeben dörf-
fen. So pitten wir jedoch Euer Gestrengen
und Ehrnfesten ganz underdienstlich, flehenlich
und umb Gottes willen, dieselb wöllen
sich ußer ohnzweifenlicher christlicher
Erbärmbde unser mit Weib undt
Kindern verjagter armen Leüth,
großgünstig annemmen. Und damit
wir unser Bettgewandt, auch was
wir sonsten von Haußrath in unsern
armen Hütlin33 verschoben, noch möchten
fünden, sicher herausbringen und an
andere Ort besser gegen dem Landt
herein sicher flehnen34 köndten, uns mit
einer Anzahl Soldaten, dero groß-
35günstigem Erachten und selbs gutem
Belieben noch von Bainbrückh alhero
nacher Derdingen (weil jezmalen
underwegen die Strassen gar un-
sicher und sonsten ohn Gefahr nicht hin
und her zu wandlen) uf und ab con-
voieren36 lassen.
Solches etcetera

Schultheüs, Gericht undt
ganze Gemaind zue
Bainbrickh, Derdin-
ger Ambtung.

Dem woledlen gestrengen, auch
ehrnvesten vorgeachten Johann
Georg von Schleissant, Capitain-
Leütenant, und Johann Georg
Beyheln, Ambtman zu Derdingen,
unserm gnädigen Junckhern undt ge-
büettendten Herrn.


1    Bahnbrücken, Stadt Kraichtal KA.

2  Evtl. identisch mit: Schleisser, NN, Kapitänleutnant und Kompaniechef (Fritz, Gerhard: Studien zum Dreißigjährigen Krieg. Stuttgart 2022, S. 35, 47).

3    Stadt Bad Herrenalb CW.

4    Oberderdingen KA (bis 1835: Ober- und Unterderdingen).

5    Beyhel, Hans Georg (verst. 1627), von 1616–1627 Amtmann zu Derdingen (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 3379).

6 Bedeutung: „waß gestalten [Botschaften]“ = welcher Art [Botschaften/Nachrichten].

7 Bedeutung: „verschinen [Montag]“ = vergangenen [Montag].

8    Menzingen, Stadt Kraichtal KA.

9 Bedeutung: „ungestim“ = ungestüm.

10 Bedeutung: „an mich begehrt“ = von mir verlangt.

11 Bedeutung: „samtlichen“ = allesamt.

12 Bedeutung: „Accord“ = Übereinkunft; im politischen und militärischen Sinn: Einigung (besonders nach vorangegangener Kapitulation).

13 Bedeutung: „ganz wehrloß gemacht“ = komplett entwaffnet.

14 Bedeutung: „grüene ufgestibte Hauben“ = grüner, mit einer Metallspitze versehener Helm.

15 Bedeutung: „Cornet“ = Fahnenjunker.

16 Übersetzung: „anstat eines Fähnlins mehr nicht als ein schlechten Wullin, gefarbten Kindts galter, allein an einer schlechten ohngehobelten Stangen“ = anstatt einer (Regiments)-Fahne nicht mehr als einen schlechten Lappen, wie von einem Kind bemalt, an einer dürftigen, krummen Stange.

17 Übersetzung: „mit Erzehlung des Fleckhen eüssersten Armuoth“ = unter dem Hinweis auf die in der Ortschaft herrschende bitterste Armut.

18 Bedeutung: „Malter“ = regional unterschiedlich berechnetes altes Volumenmaß für Schüttgut, das für Getreide, Hülsenfrüchte, Kohle, Torf und Holz verwendet wurde.

19 Bedeutung: „Habern“ = Hafer.

20 Bedeutung: „geflehnete“ = aus anderen Ortschaften hergebrachte (in Sicherheit gebrachte).

21 Bedeutung: „inen ablösen“ = ihnen überlassen.

22 Bedeutung: „Truchen“ = Truhen.

23 Bedeutung_ „schandlich verhergt“ = aufs Schändlichste zerstört, zugrunde gerichtet.

24 Bedeutung: „Leinwath“ = Leinenstoffe, leinenes Gewebe.

25 Bedeutung: „Burst“ = Gruppe, Rotte.

26 Bedeutung: „bezeügt“ = überführt.

27 Bedeutung: „Vassen“ = Fässern.

28 Bedeutung: „Gesündtlin“ = Gesinde, Angehörige.

29 Bedeutung: „Betlin“ = (bescheidenes) Bett.

30 Bedeutung: „wir mehrerthails in Bettelstab schon alberait gericht seyen“ = wir zum Großteil schon darauf vorbereitet sind, an den Bettelstab zu kommen.

31 Bedeutung: „Geströssel“ = Rauferei, Herumstoßen, Drangsalieren.

32 Bedeutung: „wehren“ = währen, dauern.

33 Bedeutung: „Hütlin“ = Hüttchen, bescheidene Behausungen.

34 Bedeutung: „flehnen“ = fortschaffen, in Sicherheit bringen.

35  Neben der Zeile nachgetragen: „Nota [Lat. = Anmerkung]: haben nichtz erlengt“.

36 Bedeutung: „convoiren“ = unter Geleitschutz reisen lassen.

Quelle Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 29 Bü 37
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu.