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Dekanat und Amt Maulbronn an Herzog von Württemberg 1655

Johann Ulrich Bauder1, Pfarrer zu Roßwag2 und Spezial (Dekan) der Maulbronner3 Diözese, und der Maulbronner (Unter-)Vogt Johann Matthäus Rehm4 ersuchen Herzog Eberhard III. von Württemberg5, die bereits geleistete Finanzhilfe aus anderen württembergischen Ämtern noch auf weitere Bezirke auszudehnen, damit die Neubeschaffung von Kirchenglocken in dem als Amtshauptort bezeichneten und nunmehr zum Stadtort erklärten Knittlingen6 möglich wird. Ferner wird betont darauf hingewiesen, dass der erbärmliche Zustand des Knittlinger Gotteshauses im Vergleich zu den vielen, bereits wiederhergestellten Kirchen in den umliegenden Gemeinden und speziell im Hinblick auf zuwandernde kalvinistisch-reformierte Glaubensgenossen aus der Kurpfalz eine Schande (für die Lutheraner) sei.

Roßwag, 11./21. Dezember 1655 (Ausfertigung)

Gnädiger Landsfürst und Herr etcetera.

Der Knitlinger Blutstürzung biß uf wenig Manschafft, Weib
und Kind in damalß uf ihnen alzu schwehr gelegner Land-
wehr,7 barbarische Verwüstung des ganzen Kirch- und Thurn-
baws, Pfarr-, Helfer- und Schulhauß wie auch des ganzen
Stättlins Einäscherung ist biß daher laider nit, sowol
aus vilen an Euer fürstlichen Gnaden und ins ganze Land er-
schollenen Lamentationen8 alß aus dem kläglichen Augen-
schein, wiewol umb etwas wenige Reparation9 geschehen,
zu ersehen.

Wan aber die auß vilen Trübsaalen übrig erhaltene, mit höchstem
ihrem Traurmuth10 zwar nicht mißgonnend, gleichwol aber
hinderdenkend mit Erseufzen anschawen, wie alle andere
zue maulbronnische Ambtsgenoßen an disen Stuken sich
wider also erholet11, daz theilß Gemeinden zwo Kirchen mit
wolversehenen Gloken, theilß aber ihre einzele Gotsheüßer
im Flor12 widerumb mit Frewden genießen. Sie aber allein
alß den Justitz-, Decanat- und numehr gnädig erklerte Statt-
orth13 zum liben Gottesdinst ohne Geleuth, in ihren Feldgeschäfften
ohne Schlaguhren14, zu Anhörung fürstlichen Mandaten15 ohne gegebnes
Zeichen sich versamlen müßen. Und dahero, wie in dergleichen
verächtlicher Gestalt geschieht, ihren uncatholischen und calvi-
nischen16 Nachbarn ein Hohn, denen aus Churpfaltz vor hin
ihnen zu wandlenden Glaubensgnoßen Augspurgischen Confession17
eine Eußerung, den künfftig Einlaßenden ein Abschew sein.

Alß were, so gut alß irgend einem Orth des Lands, eine milt-
fürstliche Andenkung18 und Gnad an disem Grentz- und maulbronnischen
Ambtshauptorth unsers unmaßgebigen Bedenkens gar frucht-
barlich und wol angelegt, dardurch sowol diser refirwidrigen
Religionen19 ein eiferig Exempel vor Augen gesezet, mit der
Zeit mehr Underthonen auch ihnen ein Trost vätterlicher Vorsorg
hiermit erweket würde. Zu dem Ende Euer fürstliche Gnaden gnedigst
geruhen wolten, nit allein aus fürstlicher Miltigkeit20, sondern
auch über vorig gnedigst angewisene noch 2 aus 3 Ämbtern,
alß Canstatt21, Marpach22 und Winnenden23, vermittelst gnädig ertheilten
Patenth24 etwas beisteuren laßen. Sie werden sich uf eußerst
Vermögen zu dißes Orths wider ufbringen auch antreffen.25
Eur fürstliche Gnaden gnädiger Resolution26 alles anheimstellend und uns
nebens underthönigster Collect27 für sie gehorsambst anbefehlend.

Roßwag, den 11. Decembris 
anno 1655.

Eür fürstliche Gnaden

underthänig verpflicht-gehorsamer
Maulbronnischer Specialis zu Roswag
Magister Johann Ulrich Bauder
Vogt zue Maulbronn
Johann Matthäus Rehm


1 Bauder, Johann Ulrich  <https://www.wkgo.de/personen/suchedetail?sw=gnd:105550334X> (01.03.2023).

2 Roßwag, Stadt Vaihingen an der Enz LB.

3 Stadt Maulbronn PF.

4 Rehm, Johann Matthäus, von 1655–1658 (Unter-)Vogt zu Maulbronn (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 2605).

5 Württemberg, Eberhard III. Herzog von <https://de.wikipedia.org/wiki/Eberhard_III._(W%C3%BCrttemberg,_Herzog)Eberhard III. (Württemberg, Herzog) – Wikipedia> (01.03.2023).

6 Stadt Knittlingen PF.

7 Übersetzung: „Das Gemetzel/Blutbad in Knittlingen, von dem nur wenige Männer, Frauen und Kinder im Zusammenhang mit den allzu schweren, ihnen auferlegten Maßnahmen zur Landesverteidigung verschont geblieben sind, (…).“

8 Lat. = Jammern, Wehklagen.

9 Bedeutung: „Reparation“ = Wiedergutmachung, Entschädigung.

10 Bedeutung: „Traurmuth“ = Trauerzustand, Trauerbefindlichkeit, Grund/Anlass zum Trauern.

11 Bedeutung: „an disen Stuken sich wider also erholet“ = sich in dieser Hinsicht wieder soweit erholt (hat).

12 Bedeutung: „im Flor“ = in festlichem Kleid, in feierlicher Pracht.

13 Bedeutung: „Stattorth“ = Land- bzw. Kleinstadt, kleine stadtähnliche Siedlung mit Marktfunktion (lat. „oppidum“).

14 Bedeutung: „in ihren Feldgeschäfften ohne Schlaguhren“ = ohne werktägliches Arbeitsläuten für die Bauern.

15 Bedeutung: „Mandat“ = Erlass.

16 Bedeutung: „uncatholischen und calvinischen“ = kalvinistisch, protestantisch-reformiert (im Unterschied zu den Lutheranern).

17 Darstellung von Lehre und Praxis der Wittenberger Reformation mit weitreichender Ausstrahlung auf den gesamten Protestantismus.

18 Bedeutung: „miltfürstliche Andenkung“ = großzügige fürstliche Schenkung (von Geldmitteln).

19 Bedeutung: „dieser refirwidrigen Religionen“ = dieser „revierwidrigen“ Religionen; gemeint sind nicht-lutherische, also kalvinistisch-reformierte Glaubensanhänger von auswärts (aus anderen Revieren/Ortschaften).

20 Bedeutung: „Miltigkeit“ = Freigebigkeit.

21 Bad Cannstatt, Stadt Stuttgart S.

22 Stadt Marbach am Neckar LB.

23 Stadt Winnenden WN.

24 Bedeutung: „Patenth“ = offener behördlicher Brief, amtliches Berechtigungsschreiben (zu einer erbetenen Maßnahme), Vollmacht zur Durchführung von etwas.

25 Übersetzung: „Sie werden sich nach besten Kräften befleißigen, zum Wiederaufbau dieses Ortes beizutragen.“

26 Lat. = Beschluss, Erlass, Statut.

27 Bedeutung: „Collect“ = Geldsammlung, Beisteuer.

Quelle Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 206 Bü 3633
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu.