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Bericht des Knittlinger Dekans Nicolai 1632

Der Knittlinger1 Dekan und Pfarrer Ulrich Nicolai2, berichtet ausführlich über die Zerstörung Knittlingens am 15./25. August 1632 durch kaiserliche Truppen unter Obrist Ossa3 sowie über seine Geiselnahme zum Zwecke der Erpressung von Lösegeld. Nicolai wurde vermutlich über Bruchsal4, Philippsburg5 und Wiesloch6 bis ins Elsass verschleppt, wobei er unter ständiger Todesangst üblen Beschimpfungen, Drohungen und Misshandlungen ausgesetzt war. Bei Artzenheim7, gut 50 Kilometer südlich Straßburg8 gelegen, gelang ihm die Flucht und schließlich die Rückkehr zu seinem Bruder Dr. Melchior Nicolai9 nach Tübingen10. Ulrich Nicolais detailreiche und sehr plastische Schilderungen der Geschehnisse verleihen seinem Bericht den Charakter eines der wenigen Ego-Dokumente, die uns aus dieser Zeit überliefert sind, und machen es lohnenswert, den Text auch im Original zu lesen, wozu die zahlreichen Übersetzungshilfen dienlich sein mögen.

 

[o. O.], 1632


1 Stadt Knittlingen PF.

2 Nicolai, Ulrich; vgl. <https://www.wkgo.de/wkgosrc/pfarrbuch/cms/index/5894> (08.02.2023).

3 Ossa, Wolf Rudolf von (um 1574–1639), kaiserlicher General; vgl. <https://www.30jaehrigerkrieg.de/ossa-wolf-rudolf-freiherr-von-2/> (08.02.2023).

4 Stadt Bruchsal KA („Brueßel“).

5 Stadt Philippsburg KA (damals Udenheim).

6 Stadt Wiesloch HD („Wüsenloch“).

7 Artzenheim/Département Haut-Rhin (Frankreich; „Arzenheimb“).

8 Strasbourg/Département Bas-Rhin (Frankreich).

9 Nicolai, Melchior < https://www.wkgo.de/personen/suchedetail?sw=gnd:116995890> (08.02.2023).

10 Stadt Tübingen TÜ.

Historische Erzehlung, wie
ich, Ulricus Nicolai, Specialis11
zue Knittlingen, den 15ten Augusti
vonn den Feinden deß Evangelii
gefangen und durch Gottes
Hilff endtlich wider
erledigt worden12.

  1. Antecetentia13

Nachdem anno 1630 der kayßerische
Commissarius14 Ossa neben andern Clöstern
in Württemberg auch das Closter Maul-
bron15 eingenommen unnd den Ordensleütten
seiner Religion eingeraumet16, seindt
zuegleich die Amptsunterthanen zur
Huldigung getrungen unnd unnß Ministris17
unnßere Ministeria18 auffgekündet worden.
Unnd obwohl Ihre Fürstliche Gnaden weilundt
etcetera Herzog Ludwig Friederich19 etcetera, damahlen
Atministrator20, darwider protestirn laßen,
auch zue Handthabung21 der Religion
und iurium territorialium22 durch abge-
sandte Commissarios unnß te novo23 inn
unßern Ministeriis confirmirt unnd fort-
zuefahren befohlen, haben doch die
Ordenßleütt sich eüßerst darwider
gesezt unnd mit scharpffen Betrohungen


11 Spezialsuperintendent (Amtsinhaber eines Spezialats bzw. Dekanats).

12 Bedeutung: „endtlich wider erledigt worden“ = zu guter Letzt wieder freikam.

13 Antecedentia (lat.) = das Vorausgegangene.

14 Bedeutung: „Commissarius“ = Kriegskommissar, Heerführer.

15 Stadt Maulbronn PF.

16 Bedeutung: „eingeraumet“ = zugewiesen.

17 Lat. = Diener; hier: Pfarrer.

18 Lat. = Ämter.

19 Württemberg, Ludwig Friedrich Herzog von <https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Friedrich_(W%C3%BCrttemberg-M%C3%B6mpelgard)> (08.02.2023).

20 Administrator (lat.) = Verwalter (hier des Herzogsamtes für den noch unmündigen späteren Herzog Eberhard III.).

21 Bedeutung: „Handthabung“ = Ausübung.

22 Lat. = Territorialrechte.

23 Lat.: = von Neuem, erneut.

auch Fürweißung allerley Patonten24
von kayßerischen Commissariis und dero Subte-
legirten25 auch kayßerischen Mayestät selbs unnß
wider darvon abzuschreckhen und abzue-
tringen understanden. Insonderheit
haben sie starckh an Knittlingen allß
den Hauptfleckhen und an mich Specialem26
gesezt, vermeinendt, wan sie disen Fleckhen
hetten, so würden die andere hernach fa[llen].

Allß ihnen aber solch ihr Fürhaben nicht gelingen
wöllen, sonder die Paurschafft27 sich beständig
an die Religion, auch Herrschafft gehalten,
und ich, Specialis, mich constanter uf die mir
erthailte fürstliche Bevelch referirt28 unnd sie
mit dergleichen Fürweißungen zue fürstlichen
Canzley gewisen, haben sie unnß den
Brannd und das Exterminium29 vihlfältig
gedrohet, auch, wie man vihl Nachrichtung30
gehabt, daßelbig durch stetige Sollicitation31
bey dem brachio seculari32 ins Werckh zue
richten uff alle Weeg getrachtet.

2.

Wie Knittlingen den 15ten Augusti
yberfallen, angebrändt und ich,
Specialis, gefänglich wegge-
füerth worden.

Allß die Ossische Reütterey etlich Tag


24 Bedeutung: „Patonten“ = Verordnungen, Mitteilungen, öffentliche Bekanntmachungen.

25 Unterbevollmächtigte.

26 Bedeutung: „an mich Specialem“ = in meiner Eigenschaft als Dekan.

27 Bedeutung: „Paurschafft“ = Landbevölkerung.

28 Bedeutung: „referirt“ = berufen.

29 Lat. = Zerstörung.

30 Bedeutung: „Nachrichtung“ = Information, Mitteilung, Botschaft.

31 Lat. = Beunruhigung.

32 Bedeutung: „brachio saeculari“ = wörtl.: „die Gewährung des weltlichen Armes“, bezeichnet seit dem Mittelalter den Schutz, den der Staat der Kirche zur Durchführung ihrer Anordnungen und zur Abwehr von Angriffen gewährte.

zuvor inn den benachbarten pfälzischen
Stättlin Bretten33 eingefallen und daßelbig
außgeplündert, ist die Saag und Be-
trowung34 starckh gangen, das es auch Knitt-
lingen gelten werde. Deßwegen,
weil ich, Specialis, nicht anheimbß35, sonder
damahlen zue Schorndorff gewesen
unnd die Leütt anfahen auß dem Fleckhen
zue fliehen und zu flehnen, hat meine Magdt
inn meinem Abwesen auch meine 4
Kinder nach Tieffenbach36 zue dem Pfarrer
alda geflehnet. Allß ich von Schorndorff37
den 14ten Augusti wider heimb kommen und
solche Beschaffenheit gefunden, bin ich willens
gewesen, den nechsten Tag, qui nobis erat
fatalis38, nach verrichtem Gebett auch dahin
zue gehen unnd den Pfarrherr Nachbar-
schafft halben auch meine Kinder zue be-
suechen unnd ihne etlich Tag Gedult
mit denselbigen zue haben anzue-
sprechen; auch deßwegen
aine Zaihnen39 mit allerley Esculenten40
eingemacht und der Magdt dahin zue
tragen ufgegeben, unnd wan diß
mein Propositum fürgangen41, were ich
allem Unglückh entrunnen.

Dieweil aber Herr Pfarrer von Kirnbach42


33 Stadt Bretten KA.

34 Bedeutung: „Saag und Betrowung“ = Kunde und (Be-)Drohung.

35 Bedeutung: „anheimbß“ = am Heimatort, zuhause.

36 Diefenbach, Gde. Sternenfels PF.

37 Stadt Schorndorf ES.

38 Lat. = der uns zum Verhängnis wurde.

39 Bedeutung „Zaihnen“ (altgermanisch für „Zweig, Schößling“) = schwäbisch: ein großer, aus Weide geflochtener Korb ohne Deckel.

40 Lat. = Speisen.

41 Bedeutung: „wan diß mein Propositum fürgangen“ = wenn mein Plan/Vorhaben aufgegangen wäre.

42 Kürnbach KA.

eben dazwischen kommen und mich ratione
vicinitatis43 das erstmahl besuechen wollen,
ich auch allß welcher dergleichen Kriegsschreckhen
und Throwungen gewonth und darinn
obturirt44 gewesen, nichts gewißes hören
können, bin ich dardurch verhindert worden
unnd dem Pfarrer ehrenhalb ain Trunckh
gebotten, welches sich biß umb 2 Uhr
verweihlt. Da der Pfarrer, weil das
Geschrayh vom Feind wöllen laut werden,
vonn mir geschaiden, und ich sampt meiner
Magdt ihm gleich gefolget unßern Weeg
nach Tieffenbach zue nemmen.

Allß ich aber hinauß für das Thor kommen,
hatte sich schon ein groß Fliehen und Flehnen
sonderlich vom Weibervolckh erhebt,
und verlauttete, das Veld würde schon von
den Reüttern berennet, deßwegen
ich mich uf dem Weeg gewendet unnd
der Schanntz sampt andern zuegangen.
Da ich dan von zwaien Reüttern ereylet,
welche mir alßbald zuegerueffen:
Oho, der Pfarrherr, der Pfarrherr,
mich gefänglich angenommen, alles was
ich bey mir gehabt genommen, an den
Pferdten, denen ich gleich lauffen mueßen45,
mit sich geschlept und zue ihrem Leütenant
gefüerth. Und habe hierin Gottes Für-
sehung zue preißen, das sie mich im Fleckhen
nicht angetroffen, dan sie mir hernach selbsten
in faciem46 gesagt, wan sie mich im Fleckhen
oder Pfarrhauß inn der ersten Furi47 ergriffen
hetten, ich gleich andern gewißlich were
nidergehawt worden.


43 Lat. = um der Nachbarschaft willen, wegen der Nachbarschaft.

44 Lat. = darin einbezogen, darin eingeschlossen.

45 Bedeutung: „denen ich gleich lauffen mueßen“ = neben denen ich herlaufen musste.

46 Lat. = ins Gesicht.

47 Bedeutung: „inn der ersten Furi“ = in der ersten Wut, im Kampfeseifer.

Hiezwischen ist Knüttlingen inn Nahmen
des vor disem ausgewichenen papistischen
Abts aufgefordert, und alß die tetitio48
nicht gleich geschehen, der Fleckh erstigen49
unnd die Feind deßelben mächtig worden.
Auch was sie darinnen angetroffen, nider-
gehauet, endtlich mit Fewer angesteckht,
welches ich alles mit Augen ansehen
müeßen. Unnd weihl der Leütenant
vihl bey mir zue finden vermeint, hat
er mich wider inn den Fleckhen gefüerth.
Da ich ihme die Baarschafft und anders,
so ich gehabt, zaigen müeßen, hat auch
sampt den andern Zwaien, so mich anfäng-
lich gefangen, uf 80 [Gulden] Paarschaft50 von mir
yberkommen51. Das ander alles miteinander,
nämblich ain hüpsche Bibliothec, ain Keller
mit Weinn, ain gueter Vorrhatt an
Früchten sampt Bettgewandt, Leinwath
unnd ander Suppellectilien52, welches alles
mit 700 [Gulden] nicht wider zue kauffen
ist, inn die Äschen gelegt. Zue geschweigen,
was ich vor disem durch das betrüebte
Closterwesen durch den fürstenbergischen
und lottringischen Einfall erlitten,
da die Solldaten mir zum andern
Mahl inß Hauß gefallen und darin
nach ihrem Muethwillen inventirt53.


48 Lat. = Berührung (wörtlich); hier: Übergabe, Kapitulation. (Die korrekte lat. Bezeichnung müsste hier „traditio“ = „Auslieferung“ heißen).

49 Bedeutung: „erstigen“ = angegriffen, überrannt.

50 Bedeutung: „Paarschaft“ = hier: Lösegeld.

51 Bedeutung: „yberkommen“ = erhalten, ausgehändigt.

52 (Wertvolle) Ausstattung.

53 Bedeutung: „inventirt“ = hier: geplündert; wörtl.: Bestand aufnehmen, Stück für Stück aufzeichnen.

Volgendts, alß der Fleckh alßo inn jämer-
lichem vollem Brannd gestanden und der
Feindt gar schnell wider auffgebrochen,
habe ich erstlich neben den Pferdten lauffen
müeßen. Unnd alß ich nicht gefolgen
mögen54, bin ich hinder aim Reütter des
Leütenants Diener gesezt und demselben
zue bewahren befohlen worden. Auch die-
selbe Nacht wirt meines Erachtens biß
under Brueßel oder dieselbe Gegendt gefüerth
(dann ich nit wißen, noch erkundigen können,
wah man mich hinfüerth). Allß ich
zue den andern Compagnien, welche
mehrertheils Wälschen55 und Franntzhoßen
gewesen, gebracht worden, haben sie
mit großem Geschray und Frohlockhen,
yber mich gerueffen: Oho Diabole, Dia-
bole, Diabole56, welches auch hernach mein
Nahm gebliben. Es hat sich auch
ein gaistliche Ortensperson, welche
sich ain Officialem genennet, zue mir
genahet, mich latiné57 und gar freündtlich
angeredt. Angefangen, marissime frater58,
mich meiner Haußfrawen seeligen59,
wo sie seie unnd wie es ihr ergangen,
gefragt. Auch darauf zur tefection60 ange-
laßen, mit statlicher Verhaißung,
da ich mich zu ihm bequemen wölte, er


54 Bedeutung: „gefolgen mögen“ = Schritt halten konnte.

55 Bedeutung: „Wälsche“ = hier: Italiener (ursprünglich bedeutete „wälsch“ = „romanisch, italienisch, französisch“; vom 16. Jh. an tritt die Bedeutung „italienisch“ in den Vordergrund).

56 Lat. = Teufel; hier besser: Satansbraten (Beschimpfung).

57 Bedeutung: „latiné“ = auf Lateinisch, in lateinischer Sprache.

58 Lat. = edelster/geschätztester Bruder.

59 Bedeutung: „meiner Haußfrawen seeligen“ = meiner Gott befohlenen Ehefrau.

60 Defectio (lat.) = Abfall (hier: Konversion).

mir zue großen Ehren verhilflich sein,
und auß allen meinen Nöthen herauß
retten wölle; worauf ich geandtwortet,
daß er alß ain Theologus61 wohl werde wißen,
wie es mit Glaubenß- und Gewissens-
sachen beschaffen, unnd das der Glaub und
Gewißen allen Dingen vorzuziehen.

Weihl ich nun inn meinem Gewißen mich
durch Gottes Gnad wohl verwarth unnd
sicher wiße, das mein Glaub und Lehr nichts
anders, dann was Gottes klares Wort
inn sich helt, begreiffe, könne unnd
wiße, ich ja darvon nicht abweichen,
thüe62 sonst wider Gott und Gewißen etcetera.
Habe aber ihne darneben gebetten, er
wolle für mich alß ainen armen
gefangnen Mann das Beste reden63, welches
er mir verhaißen; auch zuegesprochen,
ich soll ain guet Hertz haben64, werde
mir nichz geschehen, allein werde ich
mich von den Soldaten mit Gelt ab-
fünden müeßen. Hat sich damit von mir
gemacht und zue dem, der mich gefüerth,
gesagt, commento tibi illum65. Das gröste
Leiden aber, so mir inn solchem auch volgendem
Marchirn begegnet, ist gewesen, die wegen
strengen und starckhen Fortraißens immer-


61 Lat. = Kirchenmann.

62 Bedeutung: „thüe“ = würde handeln.

63 Bedeutung: „das Beste reden = Fürsprache halten.

64 Bedeutung: „ain guet Hertz haben“ = guten Mutes sein.

65 Lat. „commento [commendo] tibi illum“ = Ich überantworte, anvertraue dir jenen.

werenden Succussation66, daß ich ohne Sattel
unnd Steeg-Raiff67, auch inn ainem gar geringen
Sommerklaidlin, reitten unnd geblotzt68 werden
müeßen; daß da ich hernach, nach getroffe-
nem Accort69 der Rantzion70 halben, nicht
auf ain besonder Pferdt gesezt worden
were, ichs inn die Länge nicht hette ohne
merckhliche Leibsverletzung außdauren71
können.

3.
Waß sich bey der Philippsburg
zu Udenheim72 mit mir zugetrag-
en und wie ich da inn die Todts-
angst gefüerth und endtlich
aine Ranzion veraccortirt73
worden.

Allß die andere volgende Nacht wegen
ainer Ungelegenheit und Streits, so des
Quartirs halben vorgefallen, wür zue
Feld bleiben müeßen unnd ich wegen
starckher Nachtgefrost mich nicht wohl
enthalten können74, mein Hüetter75 aber
starckh geschlaffen, habe ich zue den
andern, so umb mich gewesen unnd
gewachet, gesagt, daß ich wegen Kältin
wolle zue dem Fewer, so inn der Nähin


66 Lat. = Erschütterung.

67 Bedeutung: „Steeg-Raiff“ = Haltegriff/Zügel.

68 Bedeutung: „geblotzt“ = gestoßen.

69 Bedeutung: „Accort“ = Abkommen.

70 Bedeutung: „Rantzion“ = Lösegeld.

71 Bedeutung: „außdauren“ = aushalten, durchstehen.

72 Ursprünglicher Name der heutigen Stadt Philippsburg KA.

73 Bedeutung: „Ranzion veraccortirt“ = Lösegeld/Auslösesumme vereinbart.

74 Bedeutung: „mich nicht wohl enthalten können“ = ich das nicht aushalten konnte.

75 Bedeutung: „Hüetter“ = Aufpasser.

vonn den Franntzhosen aufgemacht76 worden,
hiniber gehen, darzue sie zwar geschwigen
unnd mich ziehen laßen. Aber bald darauf,
alß ich hiniber gangen, haben sie den Hüetter
geweckht, der mir nachgevolgt und ver-
wisen77, daß ich außzureißen begehre, welches
ich zwar gelaügnet, er aber kein Endtschuldig-
ung wöllen annemmen, sondern mich zu zwaien
Officirn gefüerth, deren der ain mich für ainen
Profosen78 angesehen und etlich Weiden under
dem Mantel gehabt und geklenckhet79. Die
haben mich alßbalden haißen uf ain Pferdt
sizen und mit ihnen reitten, wollen mich
an den Ortt füehren, da ich hingehöre.
Weil mir nun dises grell80 vorkommen (sintemahl
erst den Tag zuvor ainer Außreißens
halben ufgehenckht worden), habe ich
mich, so guet ich gemöcht, endtschuldigt,
hat aber wenig helfen wöllen, sonder
ich habe mit fortreitten müeßen. Da
sie mich zue dem Fewer wider gefüerth,
haißen absteigen unnd inn das Vestigium81,
da ich mich gewärmet, stehen mit
Vermeldung, daß sei die Stat meiner
Müßhandtlung. Darauf mir ainen
alten Sackh geben, den ich umb die Achßel
nemmen müeßen und wider auf das Pferdt
süzen. Haben mich alßo fortgefüerth
biß an die Philippsburg, da sie gewartet,


76 Bedeutung: „aufgemacht“ = angezündet, entfacht.

77 Bedeutung: „verwisen“ = vorgeworfen.

78 Bedeutung: „Profos/Profost“ = ein für die Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung zuständiger Militärbeamter.

79 Bedeutung: „etlich Weiden under dem Mantel gehabt und geklenckhet“ = mutmaßlich: Weidenzweige, die zum Zwecke des Feuermachens zerknickt (geklenckhet) worden sind.

80 Bedeutung: „grell“ = merkwürdig, seltsam.

81 Lat. = Spur, Fährte; hier: Stelle.

biß die gannze Reitterey hernachkommen.
Alda habe ich nichts anders hören können,
dann daß ich an solchem Ortt mein Leben
enden unnd inn Rhein gestürzt werden
müeßen. Unnd weihl ich mich des
Fewers halben starckh doch flehentlich
entschuldigt, seindt sie auffeinander
caput accusationis gefallen82, ich seie
doch ain Ketzer unnd lutterischer Prae-
ticant83 und Rebell. Warauff ich ge-
andtwortet, das es mich zwar höchst
betrüebet gehabe, daß ich umbso ringer84 Ursach
willen, inndem ich mich nur beim Fewer
begehren zue wärmen, mein Leben
laßen solle. Dieweil ich
aber aniezo85 höre, daß ich umb meiner
christlichen Lehr und Glaubensbekandt-
nuß willen sterben solle, wölle
ich solches gern und willig thuen unnd
frowhe mich, das mein Todt solchen Nahmen
haben und umb der evangelischen Lehr
willen gestorben haißen solle. Habe
auch darauf mein Bekandtnuß gethan
unnd das Symbolum Apostolicum86 für mich
genommen, wie ich sonsten offt daßelbig
meinen Autitoribus breviter87 hab pflegen
zue erklären, mit Widererhohlung
dabey zue bleiben und darauf zue sterben.
Allß ich solches geendet, hat ainer gerueffen,
daß seie ain Hundtsglaub88, andere aber


82 Bedeutung: „seindt sie auffeinander caput accusationis gefallen“ = haben sie mich angeklagt/beschuldigt.

83 Bedeutung: „Praeticant = Prediger, Laienprediger.

84 Bedeutung: „umbso ringer“ = wegen so geringer/nichtiger.

85 Bedeutung: „aniezo“ = nunmehr.

86 Bedeutung: „Symbolicum Apostolicum“ = apostolisches Glaubensbekenntnis (eine fortgebildete Variante des altrömischen Glaubensbekenntnisses).

87 Bedeutung: „Autoribus breviter“ = kleinen/wenigen Schülern.

88 Bedeutung: „Hundtsglaub“ = Glaube eines Schurken.

haben geschwigen und hernach darvon alßo
tiscutirt, daß sie darfürhalten, ich seie
ain frommer Pfarrherr unnd seindt gegen
mir güetiger worden. Habe auch begert,
wann ich ja sterben müeße, wölle man
mir nur ain Stündtlein erlauben, daß ich
meine Sachen ain wenig aufzaichnen und
meinen Freünden, wie es meiner Kinder
und Verlaßenschafft89 halben bewandt, zue-
schickhen mechte, mich auch anerbotten, solches
gern zuvor zue lesen zue geben und nichts
heimblichs zue schreiben. Habe aber kein
Andtwort dariber erlangen können.
Interim90 macht man auch ain Fewer auf
der Mauren inn der Philippsburg unnd
wirt gerueffen, soll jederman Holltz
zuetragen, daß ich daher zweiflen
müeßen, ob man mich zue erseüffen
oder zu verbrennen vorhabens seie.

Nachdem man bey zwaien Stunden alßo
zue Pferdt gehalten, geth es endtlich
fort unnd wirtt ich an ain Ortt gleich
ainer Mühlin oder anderm Waßer-
gebaw91 gebracht, da man vihl Pferdt
nacheinander hineingefüerth, mich mitten
darundergestelt und wunderbarlich92
herumb gedroßlet und gequetschet93,
daß ich alle Augenblickh nicht wißen


89 Bedeutung: „Verlaßenschafft“ = Hinterbliebene.

90 Lat. = in der Zwischenzeit.

91 Bedeutung: „Waßergebaw“ = am Wasser gelegenes Gebäude.

92 Bedeutung: „wunderbarlich“ = über die Maßen.

93 Bedeutung: „herumb gedroßlet und gequetschet“ = herumgestoßen und drangsaliert.

können, wann man mich inn das Wasser
hineinstürzen oder was man für ain motum
supplicii94 mit mir fürnemmen werde.

Allß solches lang gnueg gewehret, fürth
man mich zue aim Fewer mit Vermelden95,
solle es besehen wie mirs gefalle, dan
darinnen müeste ich verbrennen. Wariber
ich geandtwortet, sie mögen thuen, was
ihnen Gott zue thuen verhenge. Ich habe
mich demselben befohlen, pitte doch
wamüglich96[?] umb ain leichtern
und geschwindern Todt. Darauf ainer
kommen, der sich für ainen Nachrichtter
dargeben97, mir ain Büßen98 Broths ge-
botten und darauf uff den Boden haißen
niederligen und das Angesicht gegen
der Erden zue wenden. Welches ich thuen
müeßen unnd habe vermeint,
er mechte villeicht mir mit ainem
Pistohl vom Leben abhelffen wollen.
Letstlich kompt ain gestutirte99 Person
unnd sagt, er seie ain Calvinist, ob
ich nicht das Nachtmahl100 von ihm begehre
zue empfahen. Den ich beandtwortet,
were daßelbige zue empfahen
gannz begürig und wolts für aine
sondere Gnad erkennen, wann es mir
vor meinem Endt gedeyhen mechte101,
bitte aber umb ain Prediger meiner


94 Lat. = Art der Bestrafung.

95 Bedeutung: „mit Vermelden“ = mit der Botschaft.

96 Bedeutung: „wamüglich“ = wenn möglich.

97 Bedeutung: „sich für ainen Nachrichtter dargeben“ = sich für einen/den Scharfrichter ausgeben.

98 Bedeutung: „Büßen“ = Bissen.

99 Bedeutung: „gestutirte“ = gebildete/studierte.

100 Bedeutung: „Nachtmahl“ = das letzte Abendmahl / die heilige Kommunion.

101 Bedeutung: „wann es mir vor meinem Endt gedeyhen mechte“ = wenn es mir vor meinem Ende zuteil werden würde.

Confession102, begehre es von ihme nicht. Darauf
ain anderer gefragt, ob ich ainen Mess-
priester leiden möge, der müeße bald da sein.
Dargegen ich abermahl gesagt, ich begehre
keines, sonder wann ich keinen meiner Religion
haben könne, habe ich alberaith103 mich Gott
befohlen unnd wiße mich wohl zue trösten
und zue faßen.

Allß sie nur dergestalten mich lang gnueg
umbgetriben und ich bey mir selbs
nichts andersts beschließen können, dann
ich müeße sterben, da sagt endtlich der
vorgemelte personierte Calvinist, es seie
nit umb das Leben, sonder umb das Gelt
zue thuen, waß ich Ranzion geben wolle?
Darauf ich, alß der zue sterben gäntzlich
mich erwogen gehabt, gefragt, ob ihme
ernst seie? Unnd alß er gesagt Ja,
habe ich geandtwort, der Mensch gibt
alles, sein Leben zue erhalten. Auch begert,
sie sollen ain Nahmen daran machen104,
doch gebetten, mein Armueth anzuesehen105,
weil ich ain armer verderbter unnd
verbrendter Mann106 seie unnd waß ge-
schehe, das müeße allein durch meine Freundt
unnd Brüeder geschehen, die auch arm
und nichts dan Handtwerckhsleütt seien.
Darauff seindt 400 [Gulden] gefordert, unnd
alß ich darob beschwert unnd


102 Anm.: Nicolai als Lutheraner war den (ebenfalls protestantischen) Calvinisten genauso abgeneigt wie den Katholiken.

103 Bedeutung: „alberaith“ = wohlbereitet.

104 Bedeutung: „ain Nahmen daran machen“ = eine Summe nennen.

105 Bedeutung: „mein Armueth anzuesehen“ = meine Armut zu berücksichtigen.

106 Bedeutung: „ain armer verderbter unnd verbrendter Mann“ = ein armer, ins Elend gestoßener und ausgeplünderter Mann.

deßwegen von mir begert worden, waß
ich dann geben wolle, habe ich gesagt,
200 [Gulden]. Darbey sie es verbleiben laßen
unnd ist der Accort darauf gemacht, daß
ich gegen Erlegung 200 [Gulden]107 auf freyen Fueß
gestelt, an ain sichern Ortt gelifert und
interim in honesta captivitate verhüetet108
unnd verwarth werden solle, welches
aber mir nicht gehalten worden. Dan ich
ain Weg alß den andern mit dem March
fort gemüest109, ist mir jedoch ain besonder
Pferdt gegeben worden, damit ich under
der Compagnia geritten110. Und hat sich der
Leütenant etwas glimpffigers111 gegen
mir erzaigt, auch mir Eßen unnd
Trinckhen gleich andern seinen Dienern
widerfahren lassen, das ich kein sondern Mangel
gehabt112.

4.
Wie man ain scharpff Examen
gegen mir fürgenommen und
mit der Tortur hart getrohet113.

Nach getroffenem Accort hette ich gern
alßbald heimb geschriben, hat mir aber
niemandt Gelegenhait zaigen wollen,
unnd ist der March fortgegangen


107 Bedeutung: „Erlegung 200 [Gulden]“ = Erstattung von 200 Gulden.

108 Bedeutung: „in honesta captivitate verhüetet = in ehrenhafter Gefangenschaft gehalten; sinngemäß: während meiner Gefangenschaft anständig behandelt werden würde.

109 Bedeutung: „Dan ich ain Weg alß den andern mit dem March fort gemüest“ = Als ich dann eine Wegstrecke nach der anderen an dem Marsch teilnehmen musste.

110 Bedeutung: „under der Compagnia geritten“ = zusammen mit der Kompanie reiten konnte.

111 Bedeutung: „glimpffigers“ = milder“ (wörtlich: glimpflicher).

112 Bedeutung: „kein sondern Mangel gehabt“ = keinen großen Mangel leiden musste.

113 Bedeutung: „Wie man ain scharpff Examen gegen mir fürgenommen und mit der Tortur hart getrohet“ = Wie man mich mit aller Schärfe verhört und mir mit Folter gedroht hat.

biß weit den Rhein hinab, da man sich nahe
bey ainer Statt gelägert und gerastet,
deren Nahmen ich nicht erkundigen können.
Habe aber hernach, alß ich erledigt worden114
erfahren, das es allem Anzaigungen nach
müeße Wüsenloch gewesen sein, da
die Ossische eingebüest haben. Allda seindt
2 Maulbronnische Ordenspersonen
zue mir kommen, welche freündtlich
mit mir gespracht unnd der ain sich
Pfarrer zue Knüttlingen genennet.
Auch angezaigt, das er mit zue Knüttlingen
gewesen und an meine Stat habe sollen
eingesezt werden. Zugleich gefragt,
was die Competenz115 seie, den ich, was er
gewolt habe, müssen reden laßen. Haben auch te con-
jugio sacertotum116 mich angelaßen unnd
gemelter mein Antagonist117 gesagt,
das der Babst bald werde ihnen die Ehe
auch erlauben, da ihm nicht angst seie,
wie er aine mit 12.000 Thaler bereden
wolle. Item118 frage nit darnach, ob schon der Fleckh
verbrandt, wan nur die Praebent119 guet seie.

Interim kame Zeittungen120, die Schwedische
seien vorhanden unnd sahe man ain Rauch
von aim Fleckhen aufgehen, den dieselbe
inn Branndt gesteckht. Dardurch ain
blözlicher Schreckh entstanden unnd
ist der Ufbruch alßbald geschehen.


114 Bedeutung: „alß ich erledigt worden“ = als ich freigekommen bin.

115 Bedeutung: „Competenz“ = Zuständigkeit, Befugnis.

116 Bedeutung: „te conjugio sacertotum“ = bezüglich der Priesterehe.

117 Bedeutung: „Antagonist“ = Gegenspieler, Widerpart (gemeint ist der Priester der Gegenseite, der seine Stelle eingenommen hat).

118 Lat. = im Einzelnen.

119 Bedeutung: „Praebent“ = geistliche Ämter und die damit verbundenen Einkünfte, Pfründe.

120 Bedeutung: „Zeittungen“ = Nachrichten, Meldungen.

Auch der March Tag unnd Nacht fort-
gangen, daß ich schwehrlich hernach kommen
und inn der Ordtnung nicht bleiben können.

Deßwegen die Wälsche unnd Franntzoßen
über mich sehr unwillig worden unnd
miteinander angefangen zue rathschlagen, wie
ich mechte auß dem Weeg geraumbt
werden. Solte ich von ihnen kommen, würde
ich alles außschwäzen, seie deren ainer,
der sich nur ihres Unglückhs frowe etcetera.
Haben zueletst den Leütenant, mit
deme ich der Rantzion halben accortirt121,
uf ain Ortt genommen unnd auch uff ihr
Seiten gebracht, der mich alßbald zorniglich
haißen absteigen und mich auf ein Ackher
füehren laßen. Da mich ainer gefragt, wie
mir diser Ackher gefalle, da müeße mein
Quartir sein, und alß ich geschwigen, hat man
Strow haißen zuesamentragen. Darauf mich
inn aine Capell, so alda gewesen, gefüerth,
mir crimen rebellionis122 fürgeworffen, mit
der Tortur ufs härttest getrohet, allerley vom
schwedischen Wesen und württembergischen
Kriegsbestellungen123 gefragt. Auch zuegemuetet
worden, das ich mich solle underhalten124 laßen
und Württemberg inn Öwigkheit verschweren125,
welches ich alles beschaidenlich, demüetig und


121 Bedeutung: „der Rantzion halben accortirt“ = um Lösegeld verhandelt.

122 Bedeutung: „crimen rebellionis“ = das Verbrechen der Rebellion, aufrührerisches Verhalten gegen die herrschende Obrigeit.

123 Bedeutung: „vom schwedischen Wesen und württembergischen Kriegsbestellungen“ = über den Aufenthaltsort der schwedischen Truppen und die württembergischen Kriegsgarnisonen (wörtl.: vom schwedischen Verweilen und den württembergischen Kriegsaufstellungen).

124 Bedeutung: „underhalten“ = unterwerfen.

125 Bedeutung: „Württemberg inn Öwigkheit verschweren“ = dem Herrscherhaus Württemberg in alle Ewigkeit abschwören.

flehenlich, so guet ich köndt, verandtwortet.
Daß kein rebellische That uf mich werdt mit
Grundt mögen gebracht werden, daß ich all
Wochen zwaymahl inn der Kirch für kayßerische
Mayestät alß das höchste Haupt des Römischen
Reichß gebetten, das die arcana politica126 unnd
was die Kriegs- und Regimentssachen belangt,
mir alß ainem Ministro127, der der Cannzel
gewartet, unbewust mir auch mein Vatter-
lanndt zu verschwehren hoch beschwehrlich etcetera. Darauf
man mich haißen hinaußgehen, mit den Rever128
zu melden groben und teütschen, zum andermahl
widerhohlten Worten abi cacatum129,
welches ich nit wißen können, wahin sie
gemeinet gewesen, aber gedenckhen müeßen,
daß man solche tormenta130 mit mir vorhabe,
daß nicht nur die arcana cortis131, sonder
auch interanea corporis außtorquirt132 werden
mechten. Allß ich aber
hinauß kommen, habe ich ain Schilttwächter
gefunden, der mich auch mit allerley ge-
fährlichen Fragen angelaßen. Ohne Zweifel,
ob ich gleich werde zuesagen, dann man
mir darnach vihl contratictiones133 hat
wollen auß meinen Worten erzwingen.
Hernach hat man mich der Wacht biß auf
morgen zu verwahren befohlen. Da man


126 Lat. = Geheimpolitik.

127 Bedeutung: „Ministro“ = Kirchenvertreter.

128 Bedeutung: „Rever“ = zurück (wörtl.: Rückseite).

129 Lat. = gehe deinen Darm entleeren (derb: geh scheißen).

130 Bedeutung: „tormenta“ = Qual, Tortur, Folter.

131 Lat. = sinngemäß: Hinterteil, Unterleib (wörtl.: der geheime Hof).

132 Bedeutung: „interanea corporis außtorquiren“ = die Eingeweide/Gedärme quälen/peinigen/foltern.

133 Lat. = Widersprüche.

den rechten scharpffen Process mit mir
fürnemmen werde, hat doch derjenige, so zue
commantiren gehabt, mich zue sich zue Tisch
genommen, abermahl mit allerley Fragen
angelaßen. Habe aber gemerckht, daß es
ihm umb Gelt zue thuen und er mir auch gern
noch ain Rantzion außgeschreckht134 hette. Unnd
ist also dieselbe Nacht darbey verbliben.

5.
Wie ich meinem Leüttenant,
mit dem ich der Rantzion halb-
en accortirt, entfüerth und
abermahl mit dem extremo
supplicio135 geschreckht unnd
geängstet worden.

Sobald es Tag worden, ward wider zue Pferdt
geblaßen und kamen zween Mußquetirer, die
mich haißen zue dem Leütenant kommen unnd
zue ainem Packhwagen gefüerth, da der
Obristleütenant yber das Fueßvolckh gestanden.
Der haist mich alßbald auf den Wagen sizen
zue ainer Weibsperson, so auch darauf gewesen,
dem ich alß ain gefangener Mann müeßen
pariren. Und habe zwar damalen vermeinet, es geschehe
mit Wißen und Willen, auch auß Bevelch
meines Leütenants, mit dem ich accortirt


134 Bedeutung: „ain Rantzion außgeschreckht“ = durch Drohungen ein (weiteres) Lösegeld abgenötigt.

135 Bedeutung: „mit dem extremo supplicio“ = mit der höchsten Todesstrafe, mit Hinrichtung.

gehabt. Habe aber hernach erfahren, daß mich
dieser Obristleütenant dem andern gemeinen
Leütenant – über den er doch ahn einem andern Rittmeister underworffen, nit zu commandieren
gehabt – begehren zue entfüehren unnd
er die Rantzion von mir zue bringen. Dan alß
mich hernach der ander Leütenant wider
ersehen, hat er gemeint, ich seie ihm entloffen
und mich wöllen aufhenckhen laßen. Allß
ich inn das Quartir gebracht, da kommen
gemelter oberste Leütenant und andere
Officir daher, setzen mich zu ihm zue Tisch, zwingen
mich zum Trinckhen und wöllen mich überaus
umb 600 Taler rantzionirn136. Darwider
ich mein Armueth fürgewendet, aber
wenig helffen wöllen.

Nach dem Eßen, als man gmeint, dieselbe
Nacht alda zue bleiben (den Ort, wie auch
andere, kan ich nit nambhafft machen, weihl
ich theils nit erkundigen können, theils mir
wider außgefallen137), kompt ain alter
fürnehmer Herr anzuesehen, der gleich
haißen zue Pferdt blasen. Da man mich
zueoberst uf ain Packhwagen mit ainem
kleinen schmalen Sizlin haißen sizen unnd
ich mich mit beeden Händen, daß ich nit
falle, starckh zue heben gehabt, bin
also alß ain Spectacul138 fortgefüerth
unnd ist das Volckh gleich alß inn Auß-
füehrung aines Übelthäters zuegeloffen


136 Bedeutung: „rantzionirn“ = Lösegeld erpressen.

137 Bedeutung: „mir wider außgefallen“ = mir wieder entfallen, ich wieder vergessen (habe).

138 Bedeutung: „spectacul“ = Zurschaustellung, Schaustück.

und groß Frohlockhen über mich gehapt. Alß
man mich an ain gewiß Ort gebracht, hebt
man still und zaigt mir an, ich müeße
sterben. Und weihl ich ain gaistliche Person
seie, möge ich anzaigen, ob ich nach priester-
licher Ehr und Würde (sic verba sonabant)139
zue andern gaistlichen Personen und Priestern
oder anderstwahin begehre begraben zue werden.
Darauf ich geandtwort, daß mich billich140
befrembde solcher wunderlicher Process141,
da man so schnell mit mir begehre zue
fahren. Ich pitte, man wölle mir meinen
Richtter under Augen stellen, der mich ver-
damme, auch die Ursach anzaigen, warumb
ich gerichtet werden solle. Darauf man
mir ainen fürgestelt, das seie der Scharpff-
richtter, der werd mir Richtters gnueg
sein. Item, ich werde gerichtet alß ain Ver-
füehrer des Volckhs. Darwider ich replicirt142,
sie haben mein Lehr und Glauben
(denn ich da under einem
andern Hauffen als zuvor zu Udenheim gewesen) noch mich
gehört und wan ich ja jemandt solte durch
mein Lehr verfüerth haben, so habe ich doch
ihnen inn ihren Landen und Gebieten niemand
verfüerth. Habe darauf laut unnd
consitenter143 anfahen zum Volckh zue reden
und fast mit gleichen Worten mich ab dem
Process beklagt, die Sach Gott allß
dem rechten Richtter befohlen. Auch damit


139 Lat. = so lauteten die Worte.

140 Bedeutung: „billich“ = zu Recht.

141 Bedeutung: „Process“ = Prozess, Aburteilung.

142 Lat. = erwidert.

143 Lat. = beständig.

ich nit sogar vertuscht würde, sonder
etwa durch das gemeine Geschray mein
Freundtschafft erfahren mechte, wie es mir
gangen144, habe ich mit lauter Stimm ange-
zaigt, wer ich seie, meine Schlißel145, die
ich noch bey mir gehapt, heraußgezogen
und gebetten, dieselbe nach Leonberg146 meiner Schwiger
zue schickhen. Auch mich vernemmen laßen, das
ich zwar inn ihren Händen und mir das Leben
bald genommen seie, aber noch wohl könne
die Zeit kommen, da es villeicht anders auch
das Leben kosten und ihnen zue wünschen sein
mechte, sie köndten mich wider stellen147, dan
man dannoch auch nach mir fragen unnd
mich nit so leicht hinachten werde. Wardurch
sie dan noch hefftiger über mich exacerbirt148,
wiewohl ichs nit acerbe oder in sultanter149,
sonder gar beschaidenlich und flehentlich, doch
cum fitucia150 geredt. Letstlich tritt ain
alter Mann herfür, der sagt, ich könne
mein Leben noch mit 600 Thaler erkauffen;
wann die da seien, werdts richtig sein.
Darauf ich mich erbotten, gern mein ganzes
Vermögen anzuzaigen und da ich etwas
daran vorhalte, solle es auch verfallen
sein. Aber an paarem Gelt151 getraw
ich nicht so vil aufzuebringen. Pitte,
sie wöllens leidenlich152 machen etcetera. Darauf
man mich haißen fortfüehren, und hat
ainer gesagt ibis Romam153, andere aber,


144 Bedeutung: „damit ich nit sogar vertuscht würde, sonder etwa durch das gemeine Geschray mein Freundtschafft erfahren mechte, wie es mir gangen“ = damit ich nicht still und heimlich zum Schweigen gebracht, sondern dass durch das Gerede der Leute meine Freunde erfahren würden, wie es mir ergangen ist.

145 Bedeutung: „Schlißel“ = Schlüssel.

146 Stadt Leonberg BB.

147 Bedeutung: „sie köndten mich wider stellen“ = sie könnten mich (für ihr eigenes Leben) eintauschen (im Falle, dass es auch einmal anders herum geht und sie eine Geisel brauchen, um ihr eigenes Leben zu retten).

148 Bedeutung: „exacerbirt“ = verbittert, verärgert (sein).

149 Bedeutung: „nit acerbe oder in sultanter“ = nicht bitter/grob oder anmaßend/herrisch.

150 Lat. = mit Selbstvertrauen/Selbstbewusstsein.

151 Bedeutung: „an paarem Gelt“ = an Bargeld.

152 Bedeutung: „leidenlich“ = erträglich.

153 Lat. = du wirst nach Rom gehen.

ich müeße nach Freyburg154 unnd an ain solchen
Ortt, da ich Richtters gnueg finden werde. Bin
alßo fortgefüerth worden die ganze Nacht
und wohl gesehen, das ich under bittern, grimmigen
Glaubensfeinden seie. Gegen Tag gibt
Gott Gnad, daß die Axen am Wagen gebrochen,
daß man mich müeßen absteigen laßen, dan ich
sehr übel geseßen und gefahren. Inndem ich
also under den Mußquetirern, die uf mich be-
stelt gewesen, stehe, reütt mein voriger Leü-
tenant, mit dem ich umb 200 [Gulden] accortirt,
daher, meint, ich seie ihm entloffen gewesen,
nimpt mich bey der Hannd, reüst mich zornig-
lich hin und sagt, er wölls mir machen155.
Habe auch schwehrlich erhalten können, daß
er meine Verantwortung156 höre. Ist doch
uf mein flehenlich Bitten, alß ich ihme ange-
zaigt, wie ich von ihm kommen und ohne mein
Schuldt entfüehrt worden, begüetiget, mich
wider under sein Compagnia gebracht
unnd uf ain Pferdt gesezt. Daß ich also
Hoffnung gehapt, es werdt nur noch bey den
veraccortirten 200 [Gulden] sein Verbleibens
haben.

Es hat aber über zween oder drey Tag
nit guet gethon, da kommen diese meine At-
versarii157, verklagen mich vor dem Obersten
Monterschier158, allß er ain groß Mahl
auf ainer Heyden gehalten, uf das
schärpffest, wie ich auß allen Gebehrden


154 Stadt Freiburg i.Br. FR.

155 Bedeutung: „reüst mich zorniglich hin und sagt, er wölls mir machen“ = reißt mich zornerfüllt zu Boden und sagt, er wolle es mir heimzahlen (mich dafür büßen lassen).

156 Bedeutung: „meine Verantwortung“ = meine Rechtfertigung/Erklärung.

157 Lat. = Gegner, Widersacher.

158 Vermutlich: Montrichier, Johann (Ernst) Freiherr von, kaiserlicher Oberst (Tessin, Georg: Die Regimenter der Europäischen Staaten im Ancien régime des XVI. bis XVIII. Jahrhunderts. Band 3, Osnabrück 1995, S. 221); vgl. <http://www.30jaehrigerkrieg.de/montrichier-monrichter-menterschier-johann-ernst-freiherr-von/>  (08.02.2023).

gesehen, aber nit herzue nahen dörffen.
Ist dennselben ganzen Nachmitag, wie
ich nit anderst erachten kan, über mich
Rath gehalten und sovil ich merckhen
können, ain harter Process beschloßen
worden. Das ich vinculirt159 und hinweg
gefüerth werden solle. Weil nun die Sach
gar feruenter, doch latenter gekocht,160 habe
ich mich auch stellen müeßen, tanquam furtus
non autiens et non habeus in corte suo re-
tarputionem161. Aber uf alle Reden unnd
Geberden guete Achtung geben, insonderheit
zue meinem Leütenant gangen, ihn gebetten,
doch ainmahl die Sach der Rantzion halben
zue befürdern und uf meinen Costen ainen
Potten abzuefertigen162, der mir aber schlechten
Beschaid geben. Wiße nit, wie es noch
damit beschaffen. Welches mir auch ain
hefftige Anzaigung gewesen, das man den
Accort zueruckhtreiben163 und was anderst
mit mir vorzuenemmen gesinnet seie.
Unnd weihl die maulbronnische Pfaffen
im Leeger gewesen, die mich immer für
ihr ainig und höchstes obstaculum164 gehalten,
habe ich mir leichtlich die Rechnung machen
können, sie werden mir ihre vor disem
fürgewisene Patenten165 herfür suechen
unnd actionem rebellionis intentirn166,
als[?] der sich kayserischen Mantatis167 widersezt etcetera.


159 Lat. = gefesselt.

160 Bedeutung: „Weil nun die Sach gar feruenter [ferventer], doch latenter gekocht“ = übertragen: weil die Sache nicht so heiß gegessen wie gekocht wurde.

161 Bedeutung: „tanquam [tamquam] furtus non autiens [audiens] et non habeus in corte suo retargutionem [reputationem]“ = verballhorntes Latein; mutmaßlich: Der Wütende, der nicht zuhört, wird in seinem Umfeld nicht ernst genommen.

162 Bedeutung: „ainen Potten abzuefertigen“ = einen Boten entsenden.

163 Bedeutung: „den Accort zueruckhtreiben“ = die Vereinbarung zurücknehmen/annullieren.

164 Lat. = Hindernis.

165 Bedeutung: „Patente“ = offene Briefe, Bestallungsschreiben.

166 Bedeutung: „actionem rebellionis intentirn“ = auf eine rebellische Handlungsweise hinzielen, eine rebellische Absicht unterstellen.

167 Bedeutung: „Mantatis“ = Befehle, Verordnungen.

Bin auch von etlichen Guetherzigen
in aurem168 gewarnnet worden,
solle doch sehen, wie ich mein Luckhen treffe169.
Denen ich aber nit trawen dörffen, sonder
besorgen müeßen, sie mechten mich versuechen.
Derowegen ich immerzu dargegen
mich erklärt, begehre nit zue weichen, sondern
meine Rantzion zue erstatten, wie ich auch in
Wahrhait also gesinnet gewesen, da wa
ich getrawt hette, bey dem Accort erhalten
zue werden170.

6.
Wie ich der Feindt Händen
wider entrunnen unnd er-
lediget171 worden.

Allß ich nun gesehen under was bittern
Feinden ich seie und was für extrema
consilia sie wider mich agitirn172, habe ich
nach Weise und Weg getrachtet, ihnen
quocunque moto173, ehe und dan ich gar inn Band
oder Eißin geschlagen oder sonst inn ain
harte Gefenckhnuß geworffen werde,
zue entgehen.

Deßwegen alß man zue Arzenheimb,


168 Lat. = in das Ohr (hier im Sinne von: flüsternd, heimlich).

169 Bedeutung: „wie ich mein Luckhen treffe“ = dass ich eine Lücke finde, dass ich fliehen sollte.

170 Bedeutung: „bey dem Accort erhalten zue werden“ = der Vereinbarung entsprechend verschont zu werden.

171 Bedeutung: „erledigt“ = ledig geworden.

172 Bedeutung: „was für extrema consilia sie wider mich agitirn“ = was für extreme Pläne sie in Bezug auf mich in die Tat umzusetzen gedachten.

173 Bedeutung: „quocunque moto“ = wohin auch immer (mich) bewegend, durch welche Bewegung/Weise auch immer.

ainem oesterreichischen174 Fleckhen 3 Stundt under
Breißach175 gelegen, über Nacht quartirt, habe
ich mich nach ainem Ortt umbgesehen, ob ich
mich irgendt verbergen oder uf das Veld kommen
mechte. Dieweil aber der Fleckh
allenthalben voll Ross unnd Leütt geweßen,
ich darzue nit weit gehen dörffen und die
Gelegenhait des Ortts176 nit gewust, auch
besorgt, ich mechte von der Wacht ersehen
werden, bin ich an den nechsten Gardten
des Haußes, da mein Leütenant das Quartir
gehabt, gangen, alß wolt ich ain waichen
Trauben suechen, dann er mit Reben, wie
solcher Orten gebräuchlich, gepflannzt ge-
wesen. Allda habe ich abgemerckht
ain lebendig Haag, zimblich dickh eingeflochten,
auch zimblicher Höhin. Daran ain Gesträuch
von Haselstauden innwendig. Außwendig
aber ein gänger Weeg und strenger177 Wandel
gewesen. An solches Haag hab ich mich nach
dem Nachteßen, alß beedes, Officir und
Diener, zimblich bezecht gewesen unnd
mich auß der Acht gelaßen, gelegt. Un-
wißendt, das des Leütenants, der mich
gefangen gehalten, zwey Pferdt uf der
andern Seiten des Hags am Weeg ange-
bunden seien. Habs aber bald erfahren,
da die Diener, deren Stimm ich wohl erkandt,


174 Gemeint ist Vorderösterreich als Sammelname für frühere Habsburgische Besitzungen westl. von Tirol und Bayern. Dieser Landesteil der Habsburgermonarchie liegt heute in der Schweiz, in Vorarlberg, im Elsass, im südlichen Baden-Württemberg und in Bayerisch-Schwaben.

175 Stadt Breisach a. Rh. FR.

176 Bedeutung: „Gelegenhait des Ortts“ = (geografische) Lage des Orts.

177 Bedeutung: „strenger“ = beschwerlicher.

kommen und zue den Pferdten gesehen, welches
mich inn große Ängstin gesezt. Habe
aber das liebe Gebett an die Hannd ge-
nommen und hat der getrewe Gott Gnad
geben, das mich niemandt an solchem Ort
gesuecht. Auch da sie morgens früeh, ehe
es recht Tag worden, zue Pferdt geseßen
und wohl heriber178 sehen mögen, mich
doch keiner gesehen noch wahrgenommen,
biß der voll Aufbruch geschehen unnd ich
also durch Gottes Hannd bedeckht dahinden
gebliben. Unnd weil ich besorgt, es mechten
villeicht noch etliche im Fleckhen gebliben
sein, bin ich so lang still gelegen, biß mich
das Fewer, welches sie nit weit von
gemeltem Haag eingelegt, hinweg
getriben. Da ich mit Händ und Füeßen
durch den Gardten kriechendt inn ain
ander Hauß, welches noch nit gebronnen,
mich salvirt179, daß ich nit villeicht von den-
jenigen, so den Fleckhen anzuesteckhen
hinderlaßen worden, wider ersehen
werde.


178 Bedeutung: „heriber“ = herüber, in meine Richtung.

179 Bedeutung: „salvirt“ = gerettet, in Sicherheit gebracht (habe).

7.
Wie ich nach meiner Erledig-
ung180 noch zweymahl under die
Kayßerische gerathen und endt-
lich durch vihl tifficulteten181 Ihro
Fürstliche Gnaden Hauptquartir
zu Grießenheimb[?]182 bey Straß-
burg erraicht, auch von da auß
biß nach Tüwingen183 convoiirt184
worden.

Nachdem die Feindt fort unnd ich auß
ihren Händen entrunnen gewesen, habe
ich meine Hosen umbgewandt und das
weise Fueter heraußgekert. Auch den
Kragen185, der ohnedas verschwärzt, inn Sackh
gestoßen186, damit wa ich etwa von ainem
Reütter noch uf dem Veld ersehen werden
mechte, ich nit so leichtlich zue erkennen
were. Bin also inn allendem Habitu
alß ein Vagant187 inn den nechsten Wald
gangen, mich zue besinnen, wa ich in solcher
unbekandten Refier meinen Weg hinnemmen
wölle. Dan ich kein Mensch köckhlich188 dörffen
ansprechen, noch mich zue erkhennen geben,
besonder weihl auch die Bawren zue
Arzenheimb mich haisen fortpackhen.
Ohne Zweifel, weil sie ainen Argwohn
zue mir gehapt, alß wer ich villeicht


180 Bedeutung: „Erledigung“ = Freikommen, Flucht.

181 Bedeutung: „tifficulteten“ = Schwierigkeiten, Beschwernisse.

182 Vermutlich Griesheim-sur-Souffel/Département Bas-Rhin (Frankreich).

183 Stadt Tübingen TÜ.

184 Bedeutung: „convoiirt“ = unter Kriegsgeleit verbracht, geleitet.

185 Bedeutung: gemeint ist hier der (weiße) Priesterkragen.

186 Bedeutung: „inn Sackh gestoßen“ = in die Hosentasche gesteckt.

187 Bedeutung: „inn allendem Habitu alß ein Vagant“ = in schäbiger Aufmachung wie ein Landstreicher.

188 Bedeutung: „köckhlich“ = keck; hier: frei heraus, offen, kühn.

ain solcher ungerader189 Gesell, welcher
dahinden gebliben, den Fleckhen anzusteckhen.
Inndem ich mich also besonnen und gedenckhe,
den Weg nach Straßburg zue suechen
unnd mich uf die Straß heraußzuelaßen,
da höre ich zween, welche auß meines
Leütenants Compagni, deren Stimm ich wohl
erkendt und am grimmigsten uff mich
gewesen, daher reitten. Und wan ich
mich herauß gelaßen hette, wer ich von
ihnen wider erhascht worden. Derowegen,
alß ich gemerckht, daß sie noch uf der Straßen
seien, bin ich im Wald denselben gannzen
Tag und volgende Nacht (welche ain kalte
Regennacht gewesen) gebliben, unnd
were lenger verhart, wann ich zue Eßen
gehapt hette und mich Kältin halben können
erhalten190. Morgens früeh mach ich
mich auf, und weihl ich ain nahe Baasen191
zue Durlach192 habe, habe ich den Wald
umbgangen und mich wöllen inn die Marg-
gravschafft hiniber schlagen. Weil ich aber
den Weeg, auch Geländ, nit gewust, habe
ich ain Stättlin mit Nahmen Martelßheimb193,
auch davor ein starckhe kayßerische
Wacht angetroffen, die mich scharpff exami-
nirt194 unnd für ihren Obersten inn die Statt
füehren wöllen. Weil ich nun an Klaydung


189 Bedeutung: „ungerader“ = unaufrichtiger, hinterlistiger.

190 Bedeutung: „mich Kältin halben können erhalten“ = mich in der herrschenden Kälte am Leben hätte halten können.

191 Bedeutung: „ain nahe Baasen“ = eine nah verwandte Cousine (vermutlich: Cousine ersten Grades).

192 Durlach, Stadt Karlsruhe KA.

193 Marckolsheim/ Département Bas-Rhin (Frankreich).

194 Bedeutung: „scharpff examinirt“ = aufs Schärfste vernommen, einem strengen Verhör unterzogen.

gannz ellendt und armseelig habituirt195,
habe ich mich für ainen armen Schuehl-
meister außgeben, der uff dem Land ziehe,
wa ich irgendt ain gering Schreiber- oder
Schuehldinstlin überkommen mechte196. Damit
ich mich hinaußgeredt, das man mich zwar
timittirt197, aber wider zueruckhgewisen
unnd nit fortlaßen wöllen198. Allß ich
nun meinem Wald wider zuegangen,
begegnet mir ain Maürer, welcher
mich gefragt, waher ich komme. Und alß
ich ihm geandtwort, daß ich inn die Marg-
graffschafft gewolt, könne aber vor dem Volckh199
nicht fortkommen, auch gebetten, mir den
Weeg uf Straßburg zue weisen, hat er mir
gerathen, ich solle inn den nechsten Rappol-
steinischen200 Fleckhen Ippßheimb201 hiniber gehen,
dann das sey ain evangelischer Ortt unnd
lige für dißmahl kein kayßerisch Volckh
darinnen. Dise newe unnd mir er-
wünschte Weegweißung habe ich ange-
nommen und es inn der That also befunden.
Und alß ich dahin kommen, habe ich mich bey
dem Pfarrherr Magister Johann Würtzen an-
gemelt unnd ihme meine Noth geklagt.
Welcher mich trewlich ufgenommen unnd
3 Tag bey sich behalten, vermeint, er wöll
mich uf die Ill202 bringen, daß ich zu Wasser
biß nach Straßburg kommen möge. Allß


195 Bedeutung: „an Klaydung gannz ellendt und armseelig habituirt“ = in Bezug auf die Kleidung ganz elendig und armselig ausgesehen (habe).

196 Bedeutung: „ain gering Schreiber- oder Schuehldinstlin überkommen mechte“ = um eine bescheidene Anstellung als Schreiber oder Schuldiener/Lehrer zu finden/ergattern.

197 Bedeutung: „timittirt“ = entlassen, loslassen.

198 Bedeutung: „nit fortlaßen wöllen“ = nicht weitergehen lassen wollte.

199 Gemeint sind hier die kaiserlichen Truppen, die ihn nicht passieren lassen wollten.

200 Rappoltstein, histor. Herrschaftsgebiet um die Stadt Ribeauvillé (dt. Rappoltsweiler)/Département Haut-Rhin (Frankreich).

201 Jebsheim/Département Haut-Rhin (Frankreich).

202 Die Jll ist ein linker Zufluss des Rheins. Sie verläuft in den elsässischen Départements Haut-Rhin und Bas-Rhin.

aber die Schiff nicht gangen, habe ich mit
seinem Rath mich nach Reichenweiher203, so nur
3 Stundt davon, begeben. Mich alda bey dem
Herrn Superintententen Magister Johann Ulrich Voll-
marn204 angemelt, welcher mich noch herzlicher
empfangen unnd alle Lieb unnd Trew erwißen.
Und weil eben dazuemahl ain Tisputatio
Thelogica205 gehalten und das Reichenweiherische
Ministerium beysamen gewesen, hat er mich
erstlich zum Convivio206, darnach zue Herrn Wormbß-
ern, Oberamptman, gefüerth, ihne mein Ellendt
fürgetragen und umb Rath und Befürderung
gebetten, daß mir möcht biß nach Straßburg
geholffen werden. Da ich dann auch alle Gunst
unnd gueten Willen gefunden. Und hat er
mir ain Patent207 zue meiner Sicherung erthailt.
Auch weihl ohne das der Stattbott zue Ihro
Fürstliche Gnaden Herrn Atministratore hat sollen
ins Leger geschickht werden, hat er mich ihme
befohlen, auch 6 Thaler auß dem aerario ecclesiasthico208,
weil ich gannz kein Zehrung gehabt, raichen
laßen. Deßgleichen der Superintentent
mich mit Huett, Krägen, Hembd, Schueh, Schlaf-
hauben, Strimpff wider aufgerichtet.

Allß ich mich mit dem Botten209 uf den Weeg
begeben, seindt wür vor Binnfeldt210 ange-
halten, starckh examinirt und die Brieff von
unnß genommen worden. Und weihl inn meinem
Passzetul211 daß Wortt Minister212 gestanden,


203 Riquewihr (dt. Reichenweier)/Département Haut-Rhin (Frankreich).

204 Volmar, Johann Ulrich, 1631–1637 Superintendent in Reichenweiher (Archiv und Zentralbibliothek der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Hg.): Württembergische Kirchengeschichte Online <https://www.wkgo.de/wkgosrc/leube/cms/index/11827> (08.02.2023).

205 Bedeutung: „Tisputatio Thelogica“ = theologische Disputation (Die Disputation ist ein wissenschaftliches Streitgespräch, in dem der Doktorand seine Arbeit/Dissertation verteidigt.).

206 Lat. = Gastmahl (wörtl.: Mahlzeit).

207 Bedeutung: „Patent“ = hier: Geleitschreiben.

208 Lat. = Kirchenkasse.

209 Bedeutung: „Botten“ = Boten.

210 Benfeld/Département Bas-Rhin (Frankreich).

211 Bedeutung: „Passzetul“ = Passierschein.

212 Bedeutung: „Minister“ = Staatsbeamter, Inhaber eines meist niederen, seltener eines gehobenen Amtes.

haben sie mich allß ainen Practicanten213 und
württembergischen Rebellen wöllen gefangen
nemmen, doch uf mein und sonderlich des Botten
flehenlichs Pitten und Endtschuldigung unß
endtlich timittirt. Da wür die schwedische
Schilttwacht bald nit weit von der Vestung
angetroffen, vonn welchen wür für Herrn
Rheingraven gefüerth und von ihme starckh
und scharpff, weil man unß von Binfeldt
sehen kommen, examinirt worden, biß unß letstlich
ain Trunckh gebotten und fort zue paßieren
vergundt worden214. Warauf wür sicher
(außgenommen, das ain schwedische Rott215 mich
underwegs angefallen und 3 Reichsthaler
und ain paar Strimpff auß dem Sackh ge-
nommen) biß nach Straßburg durchpaßirt.
Auch volgenden Tags mit den alda gefundenen
württembergischen Soldaten daß fürstliche
Hauptläger zue Gießheimb216 erraicht. Da
ich mit ainem Patent und Zehrung auß-
stapffiert und mit aim Roß und zweien
Mußquetirern von aim Ampt zue dem
andern durch Oberkirch217, Oppenaw218, Frewden-
statt219, Nagoldt220, Herrenberg221 biß nach
Tüwingen zue meinem Brueder Doktor Melchior
Nicolai bin convoirt und also inn Sicherung
gebracht worden. Darfür Gott öwig
Lob unnd Danckh habe.


213 Vermutliche Bedeutung: „Practicant“ = ein in Kanzleien ohne Gehalt dienender (meist junger) Mann.

214 Bedeutung: „fort zue paßieren vergundt worden“ = weiterzureisen erlaubt wurde.

215 Bedeutung: „ain schwedische Rott“ = eine schwedische Rotte (kleine militärische Einheit).

216 Vermutlich Griesheim-sur-Souffel/Département Bas-Rhin (Frankreich).

217 Stadt Oberkirch OG.

218 Stadt Oppenau OG.

219 Stadt Freudenstadt FDS.

220 Stadt Nagold CW.

221 Stadt Herrenberg BB.

Quelle Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 502 Bü 308
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu.