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Amt Maulbronn an Herzog von Württemberg 1632

Der Vogt1 und der Verwalter2 von Maulbronn schildern dem württembergischen Herzog ausführlich die Zerstörung Knittlingens3 durch kaiserliche Einheiten unter den Offizieren Ossa4 und Montecuccolli5 am 15./25. August 1632 sowie die zuvor erfolgte Einnahme und Plünderung der Stadt Bretten6. Die Beamten schildern die Notlage der Knittlinger Bevölkerung und erstatten erstmals Bericht über die beim Brand erlittenen Zerstörungen und Schäden, wobei sie zugleich die Sofortmaßnahmen zum Wiederaufbau der administrativen Strukturen beschreiben. In dem Bericht wird u.a. erwähnt, dass Bretten angesichts der aufmarschierenden Truppen kampflos kapituliert hat, während der militärische Befehlshaber von Knittlingen den Befehl gab, sich bis auf den letzten Mann zu wehren. Die Folge davon war, dass in Bretten (anders als in Knittlingen) niemand niedergemetzelt wurde. Die bedingungslose Kapitulation war damals für eine belagerte Stadt die einzige Chance auf Schonung.

 

[Maulbronn], 21./31. August 1632

Durchloichtiger hochgebohrner etcetera gnediger
Fürst unnd Herr. Uff Euer fürstliche Gnaden dieser Tagen
ergangenem gnedigen Bevelch, dieselb underthönig
zue berichten, wie es mit dem abgebrannten
Fleckhen Knittlingen hergangen, was
sowohl Euer fürstliche Gnaden alls die Inwohner-
schafft daselbsten an Früchten, Wein und
anderm für Schaden gelitten, auch wo der
Pfleger7 und sein Gesindt hin und wievil
Menschen in allem bei sollchem Tumult umbkommen
sein möchten etcetera, füegen Euer fürstlichen Gnaden
wir gehorsamlich zu vernehmen. Nachdem
das kayserliche Volckh under dem Commando
des Marggraven von Baaden8, Montecucculi
und Ossa verschinen9 Sontag, den 12ten
huius10, mit theils Compagnien, volgenden
Monntags aber mit der gantzen Armee von
8.000 Mann für die pfältzische
Statt Brettheim geruckht, das der darinn
gelegene schwedische Commandant, der
nur 130 Mann ungevähr starckh gewesen,
alls er sich keines Entsatz11 gewiß zue ge-
trösten gehabt, sollche Statt mit Accord12
übergeben. Da dann, nachdem besagte
Obriste hinein kommen, der Burgerschafft
mit Niderhawen, uff Weib und Kinder
gethonen Fuesfall und beschehen inn-
stendiges Flehen, Bitten und Wainen
irer verschonnt, aber die Heußer gantz
außgeplündert unnd das Vihe hinweg nacher Brussel13
getriben wordenn. Nach solchem seyen sie, die Kayßerischen, noch selbigen Abendt
darauß gezogen unnd uf dem Veldt zwischen Haidels-
heim14 unnd Diedelßheim15 uber Nacht campiert.


1 (Unter-)Vogt in Maulbronn war von 1609 bis mind. 1635 Hans Eberhard Herbst (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 2605).

2 Vermutlich: Munz, Christoph, 1625–1630 (1634?) Klosterverwalter zu Maulbronn (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 3454; Band 3, S. 433). Er unterschrieb am 6./16.04.1634 ebenfalls als „Verwalther“ (Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 282 Bü 777, Nr. 2). (Geistlicher) Verwalter in Maulbronn war von 1630 bis 1633 Matthäus Stählin (Pfeilsticker, Dienerbuch, Band 2, § 2609).

3 Stadt Knittlingen PF.

4 Ossa, Wolf Rudolf von (um 1574–1639), kaiserlicher General; vgl. <https://www.30jaehrigerkrieg.de/ossa-wolf-rudolf-freiherr-von-2/> (04.01.2023).

5 Montecuccoli, Graf Ernesto <https://de.wikipedia.org/wiki/Ernesto_Montecuccoli> (05.01.2023).

6 Stadt Bretten KA.

7 Verwalter der Einkünfte.

8 Baden, Markgraf Wilhelm von <https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_(Baden-Baden)> (03.01.2023)

9 Bedeutung: vergangenen.

10 Lat. = dieses (Monats).

11 Verstärkung, militärische Unterstützung.

12 Vertrag, Vereinbarung; hier: im Rahmen einer Kapitulation.

13 Stadt Bruchsal KA.

14 Heidelsheim, Stadt Bruchsal KA.

15 Diedelsheim, Stadt Bretten KA.

 

Volgenden Dienstag zu Mittagszeit seyen ettliche Com-
pagnia wider inn Bretten hineingefallen und haben
der Statt drey Thor abgebrochen unnd verbrant, also
daß solche Statt noch der Zeit ganntz offen unnd meniglich
auß- unnd einwandlen kann.

Mittwochmorgens frie haben wir die Avisa16 bekhommen, das der Feindt sich
nacher Udenheim17 gewendet. Dahero wir verhofft, kein
Gevahr mehr vorhannden sein werde. Es ist aber dise
fallacia 18damit unndergeloffen, das der Feindt nur
das Fuoßvolckh (welches ohne Zweifel am Montag
zuvor ime vor Bretten zum Succurs19 zu khommen)
uf Philippsburg20 zu marschieren lassen. Mit der gannzen
Cavallaria aber hat er sich Dienstag zu Nacht in denn
Waldt zwischen Bretten unnd Derdingen21, der Baurbacher22
Waldt genant, begeben unnd sich darinnen am Mittwochs
Vormittags also still verhalten, das man deßhalb
kein gewisse Nachrichtung, ob ein Feindt darinn
oder wie starckh er sein mechte, haben können. Biß
nachmittags zwischen zwey unnd drey Uhr sich die
gannze Macht einsmahls uß solchem Waldt (der
ettwan drei Viertel Stundt vonn Knittlingen gelegen)
gethon unnd inn vollem Marsch gerad uf dißen Fleckhen
zugangen, solchen umbringt unnd erstlich durch einen
Trommeter uffordern lassen. Der darinnen gelegne
Commandant, welcher vonn obersten Wachtmeister deß
Rawischen Regiments23, Michel vonn Grien24, dahin com-
mandirt worden unnd sein, Grienen, Leuttenant geweßen,
so sich zuvil uf denn versprochenen Succurs verlassen,
hat sich resolvirt25, mit seinen zwo bei sich habenden
Compagnia Lanndtvolckh biß uf denn letsten Mann
zu wehren. Derohalb die kayßerischen Tragoner alßbaldt


16 Nachricht.

17 Udenheim, heute Stadt Philippsburg KA.

18 List (Übersetzung: „es ist aber dise fallacia damit unndergeloffen“ = man hat sich mit diesem Vorgehen einer List bedient).

19 Hilfe, Verstärkung.

20 Gemeint: Festung der Stadt Philippsburg KA.

21 Oberderdingen KA.

22 Bauerbach, Stadt Bretten KA.

23 Rau, NN, 1632–1634 Kommandeur eines Württembergischen Regiments zu Fuß (Tessin, Georg: Die Regimenter der Europäischen Staaten im Ancien régime des XVI. bis XVIII. Jahrhunderts. Band 3, Osnabrück 1995, S. 270).

24 Grien, Michael von, württembergischer Offizier; vgl. <http://www.schwedenlager-bopfingen.de/layout2009/wuerttemberg_offiziere.htm> (08.05.2023).

25 Bedeutung: eine Resolution über etwas fassen, beschließen.

uf die Thor angesezt unnd solche leuchtlich
(weil die Unserigen mit Krautt unnd Loth26 ubel versehen, auch wegen deß
lang ußbleibenden Succurs unnd hergegen der kayßerischen
grossen Macht unnd Furi schon gannz verzagt waren,
die Gewehr vonn sich wurffen unnd so guet sie konten
entlieffen) eröffnet. Da dann ein
Compagnia ettlich inn denn Fleckhen commandirt wurden,
welche alle Mannspersonen niderhawen solten. Die
Uberige haben rings umb denn Fleckhen auch uf denn Veldt
inn Strassen gehalten. Wann jemandt entrinnen wollen,
dennselben gleichfahls nidergemacht, thails gefangen (wie dann
der Special27 auch uf dem Veldt ereilt unnd mit inen hinweg gefiehrt worden;
auch noch kein Wissenschafft enthalten, wo sie ine hingefüehrt,
der Diaconus aber ist entritten) zum Theils also beschedigt,
das sie nit weit mehr kommen kenden. Inn denn Pfleghof
haben sich vil Weibspersonen unnd Kinder begeben und vermeint
sicher zu sein. Welche uf eines darein gerittnen Obersten
Ankhunfft ein Fueßfall gethan unnd sovil erhalten,
daz sie eilendts uß dem Fleckhen gemiesst. Welchen ein
Trommeter zugeben unnd biß nacher Brettheim beglaittet
worden. Aber alle Mannspersonen, was sich nicht in der
Keltern unnd sonnsten versteckht, seindt nidergemacht
unnd gefangen. Entzwischen aber der Fleckh allent-
halben sowol inn- als usserhalb angesteckht worden, also das
derselb innerhalb zween Stunden – weil eben zugleich ein sehr grosser
ungewohnlicher Sturmwind und Regen eingefallen – im vollen Branndt
gestanden unnd biß nachts umb 12 Uhr (da allererst
der Kürchenthurn unnd Possthauß, welches die letste gewesen,
eingefallen) dieser gannze Fleckh zusambt dem Pfleghof
mit aller der Inwonerschafft Vahrnus28 und Mobilen (dann wennig geblindert worden)

item allen eingethonen Winterfrüchten, Fütterung, theils
Vihe unnd Wein, was nit in dieffen Kellern gewesen,
inn die Aschen gelegt worden unnd nit mehr stehen bliben,
als die Mihlin29 hinder dem Possthauß unnd vor
dem Underthor ein Brennhitten.30


26 Übersetzung: „mit Krautt unnd Loth“ = mit Pulver und Blei.

27 Amtsinhaber eines Spezialats, heute Dekan. Gemeint ist: Nicolai, Ulrich <https://www.wkgo.de/personen> (03.01.2023).

28 Bedeutung: alle beweglichen Güter eines Haushalts.

29 Mühle.

30 Evtl.: Schnapsbrennhütte.

Was denn Pfleghoff belangt, ist derselb, wie gehört, gleichfals
ann Gebewen31 sambt denn eingethonen Zehendt-
früchten zugrundt gangen. Inn denn Kellern aber
alles gebliben, doch die Kellerthüren verbronnen, also
daz wir ann verschinen Freitag (seitemahl man wegen
der kayßerischen Straiffens32 unnd der grossen Hiz eher nit
inn Fleckhen kommen konnden) beede Keller gannz
offen, die Wein aber noch aller Jusst33 befunden.
Welche ich, der Verwalther, alßbald, so guet man kondt,
mit Thilen34 verschlagen lassen.
Daruff auch einen Closterdiener neben dem Seheknecht35
unnd drey Zehendtknechten36 zu Knittlingen bestelt, das sie
biß uf anderwertige Euer fürstliche Gnaden Verordnung oder bessere
Verwahrung unnd Verfertigung newer Thüren so tags,
so nachts darinnen hietten unnd niemanden daz Auß-
unnd Einlauffen unnd Verschlaiffen37 deß Weins, welchs
schonn vonn heimischen unnd frembden Gemein, und schier
alles Preiß werden wöllen, gestatten sollen.

Inn obigem Tummult ist der gewesne Pfleger Jermias
Bolz (welcher zuvor sein Haußfraw mit 4 Dochtern
allwo geflehenet), wie unns die wider vonn Bretten
heruffkommende Weiber berichten, anfangs durch einen kayßerischen Officir
mit zwey Schüssen ubel verwundt unnd im Pfleghoff hin
unnd her geschleppt, nachgehendts aber von andern vollendtz
nidergehawen worden unnd bei der Zehendtscheuren
todt ligen gebliben. Dessen Leichnam volgends, nachdem gedachte
Scheuren abgebronnen, vonn dem abgefallenen Holtz und
Feur guetentheils verzehrt unnd
allein ein Theil seines Leibs noch gefunden, welcher vonn
unns in ein Bahr gelegt, alher inns Closter gefiehrt
unnd uf nechst khommenden Freitag zur Erden bestattet.
Auch dabei durch denn Vicarium alhie ein Leuchtpredig38
gehalten werden solle. Sein Pflegers seeligen
Haußfraw ist verschinen Donnerstag mit dreien Dochtern von hier
hinweg, wie wir berichtet, nacher Stuettgardten39


31 Gebäuden.

32 Streifenposten.

33 Übersetzung: „aller Justt befunden“ = noch ganz in Ordnung (unverdorben, unangetastet) angetroffen“.

34 Dielen, Dielenbretter.

35 Vermutlich Seeknecht (zuständig für den Betrieb der Klosterseen und -weiher).

36 Bestellte und beeidigte „Zehntknechte“ hatten den „Wein- und Kornzehent“ (den steuerlich geschuldeten zehnten Teil eines erwirtschafteten Ertrages) einzubringen.

37 Übersetzung: „daz Auß- unnd Einlauffen unnd Verschlaiffen deß Weins“ = das Hinaus- und Hineinlaufen und Plündern (wörtlich: Verschlucken; bei anderer Lesart: Wegschleppen) des Weins.

38 Leichenpredigt.

39 Stadt Stuttgart S.

gefahren. Drey Sohn seindt inn wehrendem Tummult
gefangen. Doch die zwen alberait40 wider mit 24
Thaler gelösst unnd zuruckhkommen. Von dem dritten unnd
jüngsten aber kan man nichts grundtlichs wissen.

Inmassen man auch ohne vorhin eingeholte Erkhundigung
unnd abgehende Ußschreiben inn daz Maulbronner, Lauffamer41, Bottwarer42
unnd Beilsteiner43 Ambt, welcher Ußschuss oder andere Wahl
zu Knittlingen gelegen, nit wissen kan, wievil Menschen
inn allem beileuffig umbkhommen unnd verbronnen sein, angesehen44
vil so inn Heusern versteckht, allerst wann man raumen
würdt, gefunden werden mechten. Welches alles doch
sovil immer müglich fürderlich erkhundigt unnd gehöriger
Orthen unnderthönig berichtet werden solle.

Nachdem nun der Wein inn beeden Pflegkellern noch
allerdings just, auch wievil dessen noch ungevahrlich sein
mechte, uß deß Pflegers seeligen nechst uberschickhtem
Quarthalbericht zu erlernen sein würdt. Als hielten
wir inn Unnderthonigkheit rathsam sein, weil
sobaldt inn den Pfleghof kein Wonung zu zurichten, daz
ein Pfleger oder Kieffer fieglich sich darinnen betragen
kondte. Euer fürstliche Gnaden hetten solchen zugegen ligenden Wein
alhero inns Closter fiehren lassen. Was denn Habern45,
so vonn dem Zehendten gefallen würdt und noch aller uff
dem Veldt stehet, betrifft, kann derselbig gar wol uff
denn Elffinger Hof46 gefiehrt unnd alda ußgetroschen, auch
uber solches alles ordenliche Particularia47 gehalten werden.
Wie dann auch der künfftige gefallende Zehendt- unnd
Kelterwein, weil gleichfals die Keltern abgebronnen
unnd sobaldt nit wider zu bawen, die Inwonerschafft
auch die Treber48 uf gedachten Hof oder so im Frewden-


40 Bedeutung: bereits, ohne weitere Umschweife.

41 Stadt Lauffen am Neckar HN.

42 Stadt Großbottwar LB.

43 Stadt Beilstein HN.

44 Sinngemäß: in Anbetracht dessen, dass …

45 Hafer.

46 Elfinger Hof, Stadt Maulbronn PF.

47 Sinngemäß: Verteilungen (von lat. „particularia“ = einen Teil betreffend, einzeln).

48 Treber/Trester sind die Überreste beim Pressen des Weins

stein49 zum Ußtheyen50 werden fiehren miessen, gar wol inns Closter
gefiehrt werden kan. Welches jedoch alles zue
Euer fürstlicher Gnaden Belieben steht.

Enndtlichen, nachdem deß Raums unnd Bawens halb
ein hohe Notturfft einen Baw-
meister alhero zu verordnen, welcher mit uns
auch Schultheiß unnd Gericht sich vergleichen thette, wo der
Raum, dessen uberauß mechtig vil sein würdt, hin-
zufiehren, auch denn Augenschein im Pfleghof
eingenommen und welcher Gestalten derselbe wider also zuzurichten,
das ein Pfleger innskünfftig darinn wohnen, auch
die Zehendt- unnd Gülttfrüchten ufzubehalten,
sowol auch die Keltern zu erbawen
sein mechten. Als wollen Euer fürstliche Gnaden wir für uns auch in Namen der
armen verbrendten Leuth umb fürderliche Abordnung
eines Bawmeisters unnderthonig gebetten. Darneben
der zu bestendigen Gnaden unns hiemit wie allwegen
unnderthonig und gehorsamblich bevohlen haben. Datum
denn 21ten Augusti anno 1632.

Vogt
Verwalther

 

 

 


49 Freudenstein, Stadt Knittlingen PF.

50 Vermutlich: Austeilen (Abgeben).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bericht
wegen deß verbrenten Fleckhens
Knittlingen.

Quelle Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 502 Bü 311
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu.